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aus drehscheibe 06/21

Eine Studentenzeitung befasste sich im Jahr 2015 mit der sogenannten Pick-up-Artist-Szene. Sie besteht aus Männern, die Frauen Gefühle und Liebe vorspielen, um mit so vielen von ihnen wie möglich Sex zu haben. Die Beiträge der Zeitung befassten sich mit der Historie der Szene und setzten sich kritisch mit ihr auseinander. Ein Student wurde als ein solcher „Artist“ herausgegriffen und mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen genannt; außerdem wurde ein Foto von ihm veröffentlicht. Die Wahl war auf ihn gefallen, weil er die „Pick-up-Fertigkeit“ nicht nur selbst praktizierte, sondern sie im Nebenberuf auch in Coaching-Seminaren an Interessierte vermittelte. Auf der Internetseite einer Coaching-Agentur, die für das „Geheimnis erfolgreicher Verführer“ warb, erschien der Student mit Foto und Vornamen. Außerdem hatte er im Frühjahr 2014 in einem Interview in der ARD unter Nennung seines Vornamens über seine Fertigkeiten gesprochen.

Nach Erscheinen des Artikels in der Studentenzeitung sah sich der Student Anfeindungen ausgesetzt. Er verlangte deshalb von der Zeitung, die Verbreitung des Beitrags zu unterlassen. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt bekam er im Jahr 2016 Recht. Allerdings akzeptierte die Studentenzeitung diese im Eilverfahren getroffene Entscheidung nicht und erstritt im Februar dieses Jahres vor demselben Gericht ein ganz anderes Ergebnis. Inzwischen ist den Frankfurter Richtern zufolge nämlich die Meinungsfreiheit wichtiger als das – zugegebenermaßen – beeinträchtigte Persönlichkeitsrecht des Studenten.
Das Oberlandesgericht sah jetzt ein hohes Interesse der Öffentlichkeit daran, über die „Pick-up-Artist-Szene“ informiert zu werden. Dazu gehören auch Informationen darüber, wie sich einzelne Vertreter dieser Szene in der Öffentlichkeit präsentieren. Deshalb sei es auch naheliegend, dass ein Vertreter dieser Szene herausgegriffen und identifizierbar gemacht werde. Die Studentenzeitschrift könne sich auf das Grundrecht der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit berufen. Es gehöre außerdem zu den Aufgaben der Zeitung, die politische Bildung und die staatsbürgerliche Verantwortung der Studierenden zu fördern. Die angegriffenen Berichte dienten als Diskussionsforum.

Natürlich ließen die Richter immer noch keinen Zweifel daran, dass durch die Berichterstattung das Persönlichkeitsrecht des Studenten verletzt werde. Tangiert werde aber lediglich seine Sozialsphäre, und dieser Eingriff sei letztlich nicht rechtswidrig. Denn bei Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Studenten und dem Grundrecht der Zeitung überwiege die Meinungsfreiheit. Die Presse könne zur ­Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Das hatte das Oberlandesgericht in seiner ersten Entscheidung noch anders bewertet, und gerade deshalb ist das aktuelle Urteil erfreulich.

Als wesentlich sahen die Frankfurter Richter außerdem an, dass die Artikel über erwiesenermaßen wahre Tatsachen aus der Sozialsphäre des Studenten berichteten. Die Verbreitung wahrer Tatsachen müsse in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen seien. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege das Interesse des Studenten an Anonymität. Dabei spielte auch eine Rolle, dass es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Artikel vermehrt zu übergriffigem sexualisiertem Verhalten an der Universität gekommen war. Dabei habe sich das öffentliche Interesse nicht nur auf die Studentinnen der Universität, sondern auf die gesamte Öffentlichkeit erstreckt.

Festzuhalten bleibt also: Wenn eine Meldung die Sozialsphäre einer Person betrifft und der Name der Person aus Sicht der Redaktion zur Berichterstattung gehört, darf er genannt werden.

Oliver Stegmann

Oliver Stegmann

ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Mediator (DAA). Er ist Partner in der Kanzlei Esche Schümann Commichau in Hamburg. Zuvor hat er unter anderem als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet.

Telefon: 040 – 36 80 51 40
E-mail: o.stegmann@esche.de
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