Jugend schützt nicht vor Presse
von Oliver Stegmann
Die beiden Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht wurden im Jahr 2008 dabei erwischt, wie sie in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai (der in Bayern sogenannten Freinacht) zusammen mit anderen Jugendlichen Fahrräder beschädigten, Blumen aus einem Beet herausrissen und den Hörer in einer Telefonzelle abrissen. Nach Feststellung der Personalien der damals 16- und 18-Jährigen schickte die Polizei sie nach Hause, ein Ermittlungsverfahren wurde nicht eingeleitet.
Die Sächsische Zeitung berichtete auf ihrer Internetseite über den Vorfall mit der Überschrift „Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne“. In dem Text hieß es, die beiden Brüder seien nach wüsten Randalen in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört worden.
Die beiden Brüder klagten in Hamburg gegen die Berichterstattung auf Unterlassung und gewannen. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht untersagten die Berichterstattung. Die Sächsische Zeitung legte gegen die Entscheidung Verfassungsbeschwerde ein – mit Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht hob die Urteile auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück an das Landgericht (Az. 1 BvR 2499/09). Mit welcher Begründung?
Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung war, dass die Berichterstattung den Tatsachen entsprach. Die Hamburger Gerichte konnten ein Verbot also lediglich auf eine Verletzung des sogenannten allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Ochsenknecht-Söhne stützen. Dieses Recht schützt wie die Schalen einer Zwiebel die einzelnen Sphären eines Menschen: vom innersten Kern, der Intimsphäre, bis zur äußersten Hülle, der Sozialsphäre, nimmt der Schutz kontinuierlich ab. Der Umfang des Schutzes ist bei jedem Menschen unterschiedlich.
Derjenige, der öffentlich mehr über den Kern seiner Person preisgibt, kann weniger Schutz beanspruchen als derjenige, der sein Intim- und Privatleben nicht in den Medien breittritt. Zusätzlich wird die Intensität des Schutzes in einem Abwägungsprozess mit der Pressefreiheit bestimmt. Welches Interesse überwiegt – Meinungs- beziehungsweise Pressefreiheit oder Persönlichkeitsschutz – ist somit immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig. In jüngerer Zeit differenziert das Bundesverfassungsgericht zusätzlich verstärkt, ob es um Wort- oder Bildberichterstattung geht: Wortberichterstattung hält das Gericht für weniger belastend als Fotos.
Im Fall Ochsenknecht machte das Bundesverfassungsgericht folgende Vorgaben für die nun durch das Landgericht erneut vorzunehmende Abwägung: Da es um Berichterstattung über Strafverfahren gehe, sei zwar die Nennung der Namen oder anderer Informationen, die die Identifikation ermöglichen, „nicht immer zulässig“. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten, über die noch nicht rechtskräftig entschieden sei, bestehe die Gefahr einer Stigmatisierung. Von dieser Konstellation unterscheide sich aber der vorliegende Fall, weil er von geringfügiger strafrechtlicher Relevanz sei. Zudem berühre der Bericht nur die Sozialsphäre – also die äußerste Hülle der Zwiebel.
Ebenfalls zu berücksichtigen sei, dass sich die Schauspielersöhne selbst in die Öffentlichkeit begeben hätten und dabei ein Image als „Junge Wilde“ pflegten, das sich für sie auch kommerziell auszahle. In die Abwägung sei auch einzubeziehen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht auf eine im Grundsatz anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden könne. Bei Tatsachenberichten müssten wahre Aussagen in der Regel hingenommen werden. Zugunsten der Brüder sei in der Abwägung deren junges Alter zu berücksichtigen. Die von den Vorinstanzen angenommene Regel, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber der Meinungsfreiheit grundsätzlich überwiege, sobald schutzbedürftige Interessen von Minderjährigen in Rede stehen, erachtete das Bundesverfassungsgericht jedoch aus verfassungsrechtlicher Sicht als zu eng und undifferenziert.
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