Nicht immer beim Namen nennen
von Oliver Stegmann
Bei der Berichterstattung über Straftaten sehen es die Medien oft als ihre Aufgabe und Pflicht an, Beteiligte beim Namen zu nennen. Vielfach begründen Redakteure dies damit, dass nur eine vollständige Nennung der Namen authentisch und die Nachricht nur dann glaubwürdig sei. Wie die Frage rechtlich zu beurteilen ist, ergibt sich allerdings aus einer Abwägung.
Entscheidend ist, ob die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat, dass Namen genannt werden. Wenn dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch ohne Namensnennung Genüge getan werden kann, hat sie zu unterbleiben. Es ist nämlich der Anspruch des Betroffenen zu achten, nicht aus seiner Anonymität in die Öffentlichkeit gezogen zu werden. Dieses Recht steht ihm als Teil seines sogenannten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu, das – ebenso wie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit – unmittelbar durch die Verfassung geschützt ist. Beide Interessen sind grundsätzlich gleichberechtigt.
Ob in der Berichterstattung über Straftaten Namen genannt werden dürfen, ist also immer eine Frage des Einzelfalls. Allerdings hat die Rechtsprechung für die Abwägung beider Interessen Leitlinien entwickelt, die eine Entscheidungshilfe geben. So spielt die Schwere der Tat eine Rolle. Wenn es um ein Verbrechen wie etwa Mord geht, spricht das eher für eine Namensnennung. Ob die Straftat die Öffentlichkeit in besonderer Weise angeht, ist ebenso von Bedeutung. Es gibt strafrechtliche Normen, welche Rechtsgüter sichern, die mehr dem Schutz der Gesellschaft und weniger dem Schutz des Einzelnen dienen. Korruption wäre eine Straftat, die solche Rechtsgüter verletzt.
Zur Beantwortung der Frage, ob der Name des mutmaßlichen Täters genannt werden darf, ist dessen Lebenssituation von entscheidender Bedeutung. Berührt die Straftat seine berufliche Sphäre, dann kann sich der Betroffene weniger auf den Schutz seiner Anonymität berufen als bei Straftaten, die sein reines Privatleben betreffen. Auch wer als Person sowieso in der Öffentlichkeit steht oder eine Vorbildfunktion erfüllt, muss es sich eher gefallen lassen, seinen vollen Namen in der Zeitung zu lesen, als der Durchschnittsbürger. Schließlich können auch die Umstände der Tat ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung unter Namensnennung begründen.
Gegen eine Namensnennung spricht es, wenn dadurch Gefahr besteht, dass der mutmaßliche Täter „verfolgt“ wird. Wichtig ist es auch, sich klarzumachen, dass die Berichterstattung meist zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem gar nicht feststeht, ob der mutmaßliche Täter auch der wirkliche Täter ist. Jeder Journalist sollte sich daher vor Augen führen, was es für den Betroffenen bedeuten kann, wenn er namentlich genannt wird – das kann bis zur Zerstörung der beruflichen und privaten Existenz reichen. Deshalb ist vor allem bei der Namensnennung im Zusammenhang mit der Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft größte Zurückhaltung geboten. In der Berichterstattung ist stets deutlich zu machen, dass es sich nur um einen Verdacht handelt; im Übrigen sind die Regeln der Verdachtsberichterstattung einzuhalten.
Selbst wenn auf die Namensnennung verzichtet wird, kann der Betroffene durch die Schilderung der Einzelheiten seiner Lebensumstände, wie Wohnort, Alter oder Beruf, für Einzelne identifizierbar sein. Dies kommt einer Namensnennung gleich.
Es kann aber auch Fälle geben, in denen es sogar geboten ist, Namen zu nennen. Das gilt dann, wenn durch die Schilderung der Umstände eine überschaubare Gruppe von Unbeteiligten in den Verdacht geraten würde. Beispiel: Der mutmaßliche Täter ist einer von drei Ärzten in einer Dreitausend-Seelen-Gemeinde. Schließlich sollte in der Kriminal-Berichterstattung nicht vergessen werden, dass neben dem Schutz der Täter derjenige der Opfer und ihrer Angehörigen nicht zu kurz kommt. Deren Interesse an der Wahrung ihrer Anonymität ist nämlich meist höher zu bewerten als das Interesse der Öffentlichkeit, Namen zu erfahren.
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