Personen und Zeit im Bild
von Oliver Stegmann
aus drehscheibe 06/20
Das Recht am eigenen Bild geht auf ein Gesetz aus dem Jahr 1907 zurück: das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“, kurz Kug. Der Gesetzgeber hatte damals eine bemerkenswerte Weitsicht. Auch heutzutage ist das Kug nicht aus der Zeit gefallen, sondern immer noch in der Lage, Fälle interessengerecht zu lösen – wie den folgenden.
Die Bild-Zeitung hatte über einen Prozess vor dem Verwaltungsgericht München berichtet. Darin ging es um die wiederholte Zweckentfremdung von Wohnraum. Der Vorwurf lautete, dass zwei Personen rund 2.000 Wohnungen gewerbsmäßig vermieteten. Eine Person mietete die Wohnungen an und untervermietete sie der anderen Person. Diese vermietete die Wohnungen dann teuer an „Medizintouristen“ aus dem Ausland. Die Stadt München hatte gegen die Vermieter wegen dieser rechtswidrigen Zweckentfremdung von Wohnraum bereits diverse Untersagungsverfügungen ausgesprochen. Die Vermieter machten jedoch einfach weiter. Deswegen wurden gegen sie Bußgelder verhängt, gegen die sie sich gerichtlich zur Wehr setzten. Bild berichtete über einen der Prozesse und illustrierte die Berichterstattung mit Porträtfotos der Kläger. Gegen die Veröffentlichung dieser Fotos – nicht gegen die Berichterstattung – klagten die Vermieter ebenfalls. Vor dem Landgericht und Oberlandesgericht hatten sie damit sogar Erfolg. Erst vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gewann das Verlagshaus – und zwar völlig zu Recht.
Das Kug legt fest, dass Bildnisse mit Personen nur dann verbreitet werden dürfen, wenn diese damit einverstanden sind. Von dem Erfordernis der Einwilligung macht das Kug jedoch drei wichtige Ausnahmen, bei denen eine Einwilligung nicht erforderlich ist. Erstens, wenn Personen einer Versammlung gezeigt werden, klassischerweise ist das der Fall bei einer Demonstration. Zweitens, wenn die Personen lediglich „Beiwerk“ einer Landschaft oder einer Örtlichkeit sind, also etwa bei der Verbreitung eines Fotos des Marienplatzes in München mit Menschen darauf, und zwar auch, wenn die Personen identifizierbar sind. Drittens ist keine Einwilligung erforderlich, wenn das Foto Zeitgeschichte dokumentiert.
Den Begriff „Zeitgeschichte“ interpretiert der Bundesgerichtshof eher als Zeitgeschehen. Das auf dem Foto gezeigte Geschehen muss daher nicht unbedingt „geschichtswürdig“ sein, wie etwa das Treffen prominenter Personen anlässlich eines besonderen Ereignisses. Zeitgeschehen ist auch die bestehende Wohnungsnot, die hier durch das besonders schädliche Verhalten der Vermieter noch gesteigert wird. Wer nachhaltig zulasten der Gesellschaft gegen die Rechtsordnung verstößt, muss es sich gefallen lassen, dass über seine Person auch im Bild berichtet wird.
Im Rahmen der Abwägung der Pressefreiheit mit dem Persönlichkeitsschutz der Vermieter spielte dabei sicherlich auch eine Rolle, dass die Berichterstattung der Bild-Zeitung sachlich und nicht reißerisch gewesen ist. Es ist das Recht und liegt in der Verantwortung der Presse, innerhalb des durch das Kug festgelegten Rahmens selbst zu entscheiden, ob sie ihre Berichterstattung mit Bildnissen von Personen illustrieren möchte oder darauf verzichtet. Auf die Frage, ob die Bebilderung „notwendig“ ist, die in Prozessen oft von den Abgebildeten aufgeworfen wird, kommt es hingegen nicht an.
Weder das Ergebnis noch die Begründung der Entscheidung des Bundesgerichtshofes sind überraschend oder neu. Befremdlich ist allerdings, dass zuvor zwei Instanzgerichte anders entschieden hatten und es des Urteils des Bundesgerichtshofes bedurft hatte, um zu diesem interessengerechten Ergebnis zu kommen. Der Fall belegt wieder einmal, dass oft der lange Atem eines Verlagshauses erforderlich ist, um der Pressefreiheit den angemessenen Stellenwert einzuräumen
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