Pressefreiheit gestärkt
von Oliver Stegmann
aus drehscheibe 01/19
Einstweilige Verfügungen sind im Presserecht bei Unterlassungs- und Gegendarstellungsansprüchen gang und gäbe. Nicht nur überregionale Zeitungen sind davon betroffen, sondern regelmäßig auch lokale.
Das einstweilige Verfügungsverfahren ist stark beschleunigt. Gerichte treffen meist innerhalb weniger Tage eine Entscheidung, die sofort vollstreckbar ist – also sofort gilt. Die Besonderheit des einstweiligen Verfügungsverfahrens ist, dass Gerichte ohne eine mündliche Verhandlung entscheiden können. Laut gesetzlicher Regelung sollte das die Ausnahme sein. In Pressesachen ist die sogenannte Beschlussverfügung, also eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, bei vielen Gerichten, vor allem in Hamburg und Köln, allerdings eher die Regel.
Eine weitere Besonderheit des Verfügungsverfahrens ist, dass das Gericht der Darstellung einer Partei (der Antragsteller) vertraut, ohne dass der Antragsgegner, also etwa der Zeitungsverlag, am eigentlichen gerichtlichen Verfahren beteiligt wird. Wozu das führen kann, veranschaulicht der Fall, über den das Bundesverfassungsgericht am 30. September 2018 entschieden hat: Der Spiegel hatte über einen Fernsehmoderator geschrieben und thematisiert, inwieweit er als Eigentümer und Vermieter einer Yacht ein Steuersparmodell nutze. Der Moderator verlangte über seine Anwälte den Abdruck einer Gegendarstellung. Der Spiegel lehnte das ab. Daraufhin reichten die Anwälte modifizierte Gegendarstellungen ein, insgesamt vier Fassungen. Gleichzeitig versuchten sie, per einstweiliger Verfügung vor dem Landgericht Hamburg den Abdruck einer dieser Gegendarstellungen zu erwirken. Die jeweiligen Absageschreiben des Spiegels legten die Anwälte dem Gericht nicht vor. Das Landgericht wies alle Verfügungsanträge zurück. Gegen diese Entscheidungen legten die Anwälte des Moderators Beschwerde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg ein. Im vierten Versuch erließ das OLG tatsächlich – vier Monate nach dem ersten Verfügungsantrag – ohne mündliche Verhandlung, aber unter Betonung der besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit, eine einstweilige Verfügung; darin wurde Der Spiegel dazu verpflichtet, die Gegendarstellung abzudrucken. Während des gesamten Verfahrens waren den Anwälten des Moderators mehrfach telefonische Hinweise vom Gericht erteilt worden. Von all dem erfuhr die Redaktion des Spiegels nichts. Kenntnis erlangte sie erst, als die einstweilige Verfügung zugestellt wurde. Gegen die Entscheidung des OLG legte der Spiegel diverse Rechtsmittel ein. Dennoch musste das Magazin die Gegendarstellung abdrucken.
Der Verlag legte gegen die Entscheidung des OLG Hamburg, das den Abdruck der Gegendarstellung anordnete, allerdings Verfassungsbeschwerde ein – mit Erfolg. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verletzt die Entscheidung des OLG den Verlag in seinem Recht auf prozessuale Waffengleichheit. Dieses Recht ist von seiner Wertigkeit mit einem Grundrecht vergleichbar.
Das Bundesverfassungsgericht sah das Recht des Spiegels in doppelter Hinsicht verletzt: Es beanstandete, dass die einstweilige Verfügung durch das OLG ohne Anhörung des Verlags ergangen war. Ebenso unzulässig war es nach Auffassung des Gerichts, dass den Anwälten des Moderators vom Gericht telefonisch mehrere Hinweise erteilt worden waren, ohne dass der Spiegel hierüber informiert wurde. Zum Missfallen des Gerichts waren diese Hinweise in den Gerichtsakten nicht einmal hinreichend dokumentiert. Mit ein Grund für den Erfolg der Verfassungsbeschwerde des Spiegels war auch, dass die Gerichte in Hamburg einstweilige Verfügungen in Pressesachen regelmäßig ohne Anhörung des Gegners erlassen, sich also insoweit eine Praxis etabliert hat. Neben Hamburg handhabt das in Deutschland nur noch Köln so.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Pressefreiheit. Verlage haben einen Anspruch darauf, dass ihre Argumente gehört werden, bevor die Gerichte entscheiden. Und auch Hinweise des Gerichts dürfen nicht mehr einseitig erteilt werden, sondern gehen beide Parteien etwas an.
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