Presserecht

Zeitgeschehen Wildschweinjagd

von

aus drehscheibe 10/21

In Everloh in Niedersachsen kam es im November 2016 zu einem spektakulären Großeinsatz. Eine aggressive Wildschweinrotte machte sich dort zu schaffen. Sie lief über eine Bundesstraße, es kam dadurch zu mehreren Verkehrsunfällen. Die Polizei rückte mit sechs Streifenwagenbesatzungen an. Ebenfalls im Einsatz waren die Feuerwehr, mehrere Jäger, Jagdhunde und Rettungswagen. Die Polizei sperrte den Verkehr weiträumig ab.

Ein Jäger versuchte, die Tiere mit Betäubungspfeilen unschädlich zu machen. Ein Keiler wurde mit einem solchen Pfeil getroffen, aber die Betäubung wirkte zu langsam. Die Polizei machte daher von ihren Maschinenpistolen Gebrauch, und der Keiler wurde mit 23 Schüssen niedergestreckt. Erst nach Stunden konnte der Einsatz beendet werden. Er stieß nicht nur regional, sondern bundesweit auf großes Interesse der Medien. Es wurden natürlich Fotos gemacht, auf denen auch Polizeibeamte zu sehen waren. In den Zeitungen eines Verlags und in den dazugehörigen Internetangeboten erschien das Bild eines Polizisten mit Maschinenpistole in der Hand. Der Polizist hatte allerdings nicht die Schüsse auf den Keiler abgegeben. Die Berichterstattung wurde vielfach kommentiert, die Reaktionen reichten von Zustimmung bis Ablehnung.

Der Polizist aber verklagte den Verlag wegen der Veröffentlichung des Fotos. Er behauptete, er sei auf den Polizeieinsatz vielfach angesprochen und dabei teilweise auch angefeindet worden. Außerdem sei das Foto von ihm in eine Salafisten-Gruppe mit Hunderten Nutzern gelangt; dort sei zu lesen gewesen, dass die „Ungläubigen“ schon bald besiegt sein würden. Deshalb sei sogar eine Sicherheitswarnung des BKA an ihn weitergegeben worden. Die Klage des Polizisten stützte sich darauf, dass das Foto seines Gesichts nicht unverpixelt hätte veröffentlicht werden dürfen. Neben Unterlassung forderte er auch die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 100.000 Euro. Das Landgericht Hannover wies die Klage ab.

Bildnisse von Personen dürfen grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden. Das folgt aus Paragraf 22 Kunst- und Urhebergesetz (KUG). Natürlich hatte der Kläger seine Einwilligung nicht erteilt. Deshalb konnte die Veröffentlichung nur dadurch gerechtfertigt sein, dass einer der in Paragraf 23, Abs. 1, KUG geregelten Fälle vorlag. Der in der Praxis wichtigste Fall ist, dass mit dem Foto ein Zeitgeschehen dokumentiert wird. Um ein solches Geschehen handelt es sich nicht nur bei Ereignissen historisch-politischer Bedeutung, sondern auch, wenn Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse gezeigt werden.

Der Großeinsatz wegen der Wildschweinrotte erfüllt formal selbstredend diese Vo­raussetzungen – und zwar wegen der damit verbundenen Beeinträchtigungen nicht nur auf regionaler, sondern auch auf Bundesebene. Wichtig ist jedoch, dass ein Bildnis, das Zeitgeschehen zeigt, nur dann verbreitet werden darf, wenn eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten des Abgebildeten und den Rechten der Presse ergibt, dass die Rechte der Presse an Information überwiegen. Entscheidend dafür ist, ob die Medien das Geschehen ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch der Öffentlichkeit erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen. Wenn sie lediglich ohne Bezug zum Zeitgeschehen die Neugier der Leser befriedigen wollen, spricht das gegen eine Veröffentlichung.

Nach Auffassung des Landgerichts waren die Interessen des Verlages schutzwürdiger. Dabei spielte zum einen eine Rolle, dass durch die Verbreitung der Fotografie lediglich die Sozialsphäre des Polizisten tangiert worden war, weil ihn das Foto in Ausübung seines Berufs zeigte. Es war nach Auffassung des Landgerichts erforderlich, die Gesichter teilnehmender Polizeibeamten zu zeigen, da sich erst daraus ablesen ließ, welche emotionale Grundhaltung sie bei dem Einsatz zeigten. Dass Extremisten Polizisten über Bildberichterstattung gegebenenfalls wiedererkennen könnten, ließe sich, so das Landgericht, nicht vermeiden. Jedenfalls sei eine konkrete Bedrohung des Polizisten für den Verlag so nicht vorhersehbar gewesen.

Oliver Stegmann

Oliver Stegmann

ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Mediator (DAA). Er ist Partner in der Kanzlei Esche Schümann Commichau in Hamburg. Zuvor hat er unter anderem als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet.

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