Zeitung auf Verbrecherjagd
von Oliver Stegmann
aus drehscheibe 13/20
Die Bilder der Ausschreitungen während des G-20-Gipfels im Jahr 2017 in Hamburg sind noch in guter Erinnerung. Und die juristische Nachbereitung der Krawalle dauert an. Auch die Bild-Zeitung war daran beteiligt und selbst davon betroffen.
Die Zeitung hatte intensiv über die Plünderungen und Verwüstungen während des Gipfels berichtet. Zusätzlich hatte Bild mit einem „Fahndungsaufruf“ Bilder von an den Ausschreitungen beteiligten Personen veröffentlicht und um Unterstützung der Polizei bei der Identifizierung der mutmaßlichen Täter gebeten. Die Berichterstattung fiel nicht gerade zurückhaltend aus, sondern erfolgte in der der Zeitung eigenen Weise mit der Überschrift auf der Titelseite „Gesucht – wer kennt diese G-20-Verbrecher?“. Das Vorgehen von Bild sorgte für erhebliche Aufmerksamkeit, weil diese Form eines medialen Aufrufs neu war.
Einige der Fotos zeigen eine Frau, die Waren vor einem geplünderten Drogeriemarkt aufsammelt. Der dazugehörende Text lautet: „Der Wochenend-Einklau? Wasser, Süßigkeiten, Kaugummis erbeutet die Frau im pinkfarbenen T-Shirt im geplünderten Drogeriemarkt.“ Die Frau verklagte die Bild-Zeitung. Sie wollte erreichen, dass die Fotos in Kombination mit der Berichterstattung nicht mehr veröffentlicht werden durften. Dabei bestritt die Klägerin nicht, die Gegenstände an sich genommen zu haben; ein Ermittlungsverfahren gegen sie wurde aber wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte die Klägerin mit ihrer Unterlassungsklage Erfolg. Beide Instanzen erachteten den privaten Fahndungsaufruf als unzulässig, weil die gesetzlichen Vorgaben für eine öffentliche Fahndung durch die zuständigen Behörden nicht vorlägen. Denn selbst Ermittlungsbehörden dürfen, wie es in Paragraf 131b Abs. 1 Strafprozessordnung heißt, nur „bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung“ einen Fahndungsaufruf mit Bild des Verdächtigten starten.
Im September entschied allerdings der Bundesgerichtshof (BGH) anders und wies die Klage ab. Die Bilder dokumentierten Zeitgeschehen im Sinne von Paragraf 23 Abs. 1 Nr. 1 Kunsturhebergesetz (KUG). Daher sei eine Einwilligung der Klägerin vor der Veröffentlichung der Fotos nicht erforderlich gewesen. Zu Recht betont der BGH in seiner Entscheidung, dass sich die Frage nicht stelle, ob eine Bebilderung des Beitrags überhaupt veranlasst sei. Selbstverständlich sei die Berichterstattung über ein Fehlverhalten zulässig; es komme dabei auch nicht darauf an, ob es sich um eine Straftat handelt. Der BGH stellte außerdem fest, dass die Berichterstattung einen erheblichen Informationswert hat. Die Ausschreitungen während des G-20-Gipfels in Hamburg und deren Begleitumstände seien unter verschiedenen Gesichtspunkten von sehr hohem gesellschaftlichem Interesse und Gegenstand öffentlicher Diskussionen gewesen. Auch die von der Bild-Zeitung thematisierten Aspekte, welche Personen sich an den Ausschreitungen beteiligten, wie sie sich verhielten, welche Auswirkungen dies hatte und dass die Polizei bei der Aufklärung des Geschehens um die Unterstützung der Öffentlichkeit bat, erhöhten den Informationswert.
Die Klägerin müsse deswegen die zweifellos gegebene Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeitsrechte hinnehmen, auch weil sie wegen ihrer Tat weniger schutzwürdig sei. Eine Stigmatisierung oder Prangerwirkung sei mit der Bildveröffentlichung nicht verbunden gewesen, denn die Klägerin sei nur für ihre Freunde und Bekannten erkennbar gewesen, nicht für die breite Öffentlichkeit.
Besonders interessant ist der Hinweis des BGH, aus dem KUG sei nicht herauszulesen, dass Bilder von Medien nur dann veröffentlicht werden dürfen, wenn ein Fall des Paragrafen 131b Abs. 1 Strafprozessordnung gegeben sei. Medien hätten eine andere Stellung als Ermittlungsbehörden und dürften zur Dokumentation des Zeitgeschehens anders handeln als diese Behörden. Der „Fahndungsaufruf“ sei ein redaktionelles Stilmittel.
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