Angriff auf die Demokratie
von René Martens
Zwei SPD-Mitarbeiter, die beim Aufhängen von Wahlplakaten in Rostock von einem Neonazi mit einem Messer bedroht werden; Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Angriffe gegen grüne Wahlhelfer an vier Orten allein in Sachsen; Attacken auch auf Wahlhelfer der Linken und der Kleinpartei Volt – so lautete am letzten April-Wochenende die unvollständige Bilanz zum Auftakt der Wahlkämpfe im Superwahljahr 2024. Und vor wenigen Tagen dann eine Eskalation, die im ganzen Land die Nachrichten dominierte: In Dresden griffen vier Personen Matthias Ecke, den örtlichen Spitzenkandidaten der SPD für die Europawahl, beim Plakatieren an und fügen ihm mehrere Knochenbrüche zu.
Angesichts dieses Klimas der Gewalt ist es umso dringlicher, dass das Bundesinnenministerium derzeit eine bundesweite Anlaufstelle für bedrohte Kommunalpolitikerinnen und -politiker aufbaut. In der zweiten Jahreshälfte soll sie ihre Arbeit aufnehmen.
Angriffe in Mecklenburg-Vorpommern
Für den 56-jährigen Stephan Lamprecht, Stadtverordneter in Ahrensburg im Kreis Stormarn, und den 19-jährigen Moritz Griffel, der am 9. Juni in Mecklenburg-Vorpommern in seiner Heimatstadt Torgelow für die Stadtvertretung und bei der Kreistagswahl in Vorpommern-Greifswald antritt, wäre so eine Anlaufstelle in den vergangenen Wochen womöglich hilfreich gewesen. Gegen beide gab es in dieser Zeit Morddrohungen.
Der queere Grünen-Politiker machte die Angriffe auf seine Person Ende Februar bei einer Rede bei einer Stadtverordnetenversammlung öffentlich. „Es war eine emotionale und kämpferische Rede. Man hat ihm angemerkt, dass er sich lange überlegt hat, ob er an die Öffentlichkeit gehen soll“, sagt Finn Fischer. Der Redakteur des Stormaner Tageblatts war an jenem Abend als Berichterstatter im Saal. Über die Bedrohungen gegen Lamprecht, die den Staatsschutz auf den Plan gerufen haben, hat das Stormarner Tageblatt nach der Rede bisher zweimal berichtet. Man wolle demnächst noch mal auf die Ermittlungen eingehen, sagt Finn Fischer.
Vier Monate lang hatte Lamprecht bereits Drohungen von einem anonymen Absender erhalten. Die Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, traf er schließlich, nachdem er einen Brief erhalten hatte, der neben einer Morddrohung eine Aufforderung zum Suizid enthielt, untermauert durch einen dem Schreiben beigelegten Strick.
Moritz Griffel, Mitglied der Linkspartei, ging schneller an die Öffentlichkeit als Lamprecht - was aber auch deshalb nahe lag, weil die Morddrohung gegen ihn für jeden der etwas weniger als 10.000 Einwohner von Torgelow sichtbar war. In der Nacht nach einer AfD-Veranstaltung hatten Unbekannte sie auf eine Häuserwand in der Nähe seiner Wohnung gesprüht, die Gegend per Wandparole außerdem als „Nazikiez“ markiert. Ein weiterer Schriftzug betraf Griffel zumindest indirekt („Torgelow bleibt Deutsch! Linksjugend ausrotten“).
Gefasst, nicht überrascht, kämpferisch - mit diesen Worten beschreibt Patrick Hinz, Chefredakteur des Lokalmagazins Katapult MV, die Reaktion des Betroffenen. Er hatte Griffel zu den Bedrohungen interviewt. In dem Gespräch sagt der Jungpolitiker über die Anfeindungen: „Es ist natürlich unschön, aber es weckt bei mir die ‚Jetzt erst recht‘-Mentalität.“ Hinz hat noch ein zweites Gespräch mit Griffel geführt, das Mitte Mai als Video erscheinen soll.
So offensiv wie der 19-Jährige Lokalpolitiker aus Torgelow reagieren nicht alle Betroffenen in Mecklenburg-Vorpommern. In einem Beitrag gab Katapult MV einen Überblick über Angriffe auf Amts- und Mandatsträger und Wahlkreisbüros im gesamten Bundesland. Einige Interviewpartner hätten nicht genannt werden wollen, sagt Patrick Hinz. So wird eine Frau, deren Familie unter Druck gesetzt worden war, lediglich als „eine Politikerin von der Insel Rügen“ bezeichnet. Der Artikel trägt die vielsagende Überschrift „Wer will sich das noch antun?“
Anfeindungen aus dem rechten Milieu haben auch Mitarbeiter von Katapult MV schon am eigenen Leib erlebt (siehe drehscheibe-Bericht). Mittlerweile hätten sich die Angriffe aus diesen Kreisen aber „aufs Juristische verlagert“, sagt Patrick Hinz. „Wir haben 2024 schon vier Unterlassungserklärungen bekommen.“ Dabei sei es jeweils um Nebensächlichkeiten gegangen. Solche Attacken behinderten die täglich Arbeit erheblich, sagt Hinz.
Brandanschlag in Thüringen
Auch Fabian Klaus, Reporter für die Thüringer Allgemeine, die Thüringische Landeszeitung und die Ostthüringer Zeitung, kennt das Thema Bedrohungen aus zwei Perspektiven. Er hat über Angriffe auf Politiker berichtet hat und ist auch selbst Ziel von Attacken geworden.
„Eine neue Qualität“ der Angriffe auf Kommunalpolitiker hat er im Februar 2024 bei dem Brandanschlag auf das Haus des SPD-Lokalpolitiker Michael Müller in Schnepfenthal (Landkreis Gotha) ausgemacht. Müller, Organisator von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus vor Ort, war während der Tat, bei dem ein Brandbeschleuniger zum Einsatz kam, verreist, im Haus wohnte zu der Zeit eine Gastfamilie mit Kleinkind.
Er habe Müller früh nach dem Anschlag erreicht, sagt Klaus. „Er war da noch zurückhaltend“, habe niemanden vorverurteilen wollen und wie „ein Suchender“ gewirkt, erläutert der Reporter. Klar sei: „In so einer Situation kommen keine druckreifen Sätze raus.“ In den folgenden Tagen sei Müller dann sicherer im Auftreten geworden.
Was den eigenen Umgang mit Bedrohungen angeht, war für Klaus der 29. April 2023 ein besonderes Datum. An diesem Tag ließ er das erste Mal von einem Mitarbeiter einer Security-Firma begleiten. „Nachdem uns von den Sicherheitsbehörden mitgeteilt worden war, dass ich relativ weit oben auf der Feindesliste stehe, haben Verlag und Chefredaktion das beschlossen.“ Schon vorher galt die Regel, dass niemals ein Mitarbeiter der Thüringer Allgemeinen, der Thüringischen Landeszeitung und der Ostthüringer Zeitung allein von einer Demonstration berichtet. „Ob Security oder nicht – das ist dann immer eine individuelle Entscheidung“, erläutert Klaus
Der Grund für die Feindseligkeit ihm gegenüber: Rund zwei Monate vorher hatte Klaus aufgedeckt, an welchem Veranstaltungsort Rechtsextremisten in Ronneburg bei Gera ihren „Patriotischen Aschermittwoch“ planten. Den Ort hatten die Organisatoren geheim halten wollen.
Der Schutz in Erfurt erwies sich als nötig: Klaus wurde von einem Demonstranten angegriffen. Wäre der Begleitschutz nicht dabei gewesen, wäre Schlimmeres passiert. Im Dezember 2023 – ein Vierteljahr, nachdem der Reporter wegen seiner Berichte über rechtsextreme oder verschwörungsideologische Demonstrationenmit mit dem Jenaer Zivilcouragepreises ausgezeichnet worden war – ließ Klaus sich bei der Demo-Berichterstattung dann zum zweiten Mal von einem Security-Mann begleiten.
Klaus fuhr zu einem der „Montagsspaziergänge“ in Gera, die der Rechtsextremist Christian Klar organisiert und die mittlerweile auch bundesweit bekannt sind. Klar habe ihn auf der Bühne „persönlich angefeindet“, sagt Klaus. „Das führte dann dazu, dass Demoteilnehmer einen erkennen.“ Das Ganze, so der Reporter, habe sich dann derart zugespitzt, dass der Sicherheitsmann irgendwann „Raus aus der Situation!“ gesagt habe und sich beide aus der unmittelbaren Gefahrenzone entfernt hätten.
Bei einem weiteren „Spaziergang“ in Gera in diesem Jahr war Klar mit einem Schild zu sehen, auf dem Fabian Klaus mit Sträflingskleidung und mit der Aufschrift „Schuldig“ abgebildet ist. In der Hochphase der Querdenker-Demos waren vor allem Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf diese Weise verunglimpft worden.
Bei einer anderen Demonstration im April, über die er später unter der Überschrift „Tausende Menschen träumen in Gera von der Rückkehr ins Kaiserreich“ berichtete (zum Artikel), hatte Klaus erneut einen Sicherheitsmann dabei. In dem Fall wäre der Schutz aber nicht notwendig gewesen. „Das war keine militante Veranstaltung. Ich konnte problemlos mit allen Leuten reden.“ Das bedeutet aber nicht, dass er beim nächsten Mail weniger vorsichtig sein wird. „Das ist wie mit einer Versicherung. Man braucht sie nicht immer, aber es kann einem auch passieren, dass man sie braucht, nachdem man sie gerade gekündigt hat.“
Vandalismus in Göttingen
Mit Anfeindungen aus unterschiedlichen Lagern sieht sich das Göttinger Tageblatt konfrontiert. So versuchen Personen, die sich selbst vermutlich als links bezeichnen würden, die Redaktion einzuschüchtern. Im April sprühte jemand „Warum müsst ihr Hakenkreuze reproduzieren?“ auf die Fensterfront des Redaktionsgebäudes. Auch an anderen Stellen in der Umgebung tauchten in jener Nacht Schriftzüge auf, die gegen das Tageblatt gerichtet waren. Im Herbst 2023 hatten Täter aus einer vermutlich ähnlichen Richtung die Fensterfront des Redaktionsgebäudes bereits großflächig mit der Parole „Faschisten, Bullenschweinen kein Forum bieten“ besprüht (siehe drehscheibe-Bericht).
„Warum müsst ihr Hakenkreuze reproduzieren?“ war offensichtlich eine Reaktion auf kurz vorher veröffentlichte Berichte der Redaktion über Hakenkreuz-Schmierereien an verschiedenen Stellen der Stadt. Wer eine Zeitung dafür angreife, dass sie über Hakenkreuz-Schmierereien berichte, habe ein „merkwürdiges Verständnis von freier Presse“, sagt Chefredakteur Frerk Schenker.
„Es ist ein Tabubruch, Medienhäuser anzugreifen“, ergänzt er „Wer das tut, tritt die Demokratie mit Füßen, weil er glaubt, durch Einschüchterung einen wichtigen Artikel des Grundgesetzes außer Kraft setzen zu können. Wir lassen uns aber nicht einschüchtern.“
Selbst Opfer von Hakenkreuzschmierereien war das Göttinger Tageblatt auch schon. Anfang des Jahres hatte eine bis heute unbekannte Person die Geschäftsstelle des Tageblatts in Duderstadt – dort hat die Lokalausgabe Eichsfelder Zeitung ihren Sitz – mit den NS-Symbolen verunziert.
Kurz darauf hielt es die Göttinger Polizei für notwendig, während einer Demonstration aus dem Querdenker- und Reichsbürger-Milieu, deren Route in der Nähe des Redaktionsgebäudes der Zeitung verlief, Schutzmaßnahmen zu ergreifen: Während der Veranstaltung war gegenüber der Redaktion ein Streifenwagen postiert – eine vorsorgliche Reaktion angesichts der vorigen Berichterstattung über ähnliche Demonstrationen. Schenker sagt, für ihn sei das eine ambivalente Situation gewesen: „Ich fand es einerseits erschreckend, dass die Polizei glaubt, zu diesem Mittel greifen zu müssen, andererseits habe ich es begrüßt, dass sie dieses Zeichen setzt.“ Ob es nun am Streifenwagen lag oder nicht: An diesem Tag blieb das Göttinger Tageblatt unbehelligt.
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