„Auch mal zeigen, was nicht funktioniert“
von Alissa Steer
Menschen mit Behinderung und Unternehmen werden auf „JOBinklusive“ miteinander vernetzt. Die Aktivistin Anne Gersdorff verrät spannende Themen und Tipps fürs Lokale.
Frau Gersdorff, Sie sind ein Teil des Teams von Sozialhelden e.V., einem Verein, der sich für die sozialen Belange von Menschen mit Behinderung einsetzt. Wie kam es dazu, das Projekt „JOBinklusive“ ins Leben zu rufen?
Wir von Sozialhelden e.V. sind eine Gruppe aus Aktivistinnen und Aktivisten, die nach praktischen Lösungen sucht, um den Alltag von Menschen mit Behinderung zu erleichtern. Es fing alles mit einer App an, die auf einer Karte barrierefreie Orte anzeigt. Damit haben wir große mediale Öffentlichkeit erzeugt. Es wurde meistens sehr klischeehaft berichtet, wenn etwa mein Kollege Raul Krauthausen erwähnt wurde. Es war oft die Rede von „er leidet an der Krankheit“ oder „ist an den Rollstuhl gefesselt“. Daraufhin haben wir Leitmedien.de gegründet, um Journalistinnen und Journalisten zu beraten, wie eine gute Berichterstattung aussehen kann. Umso öffentlicher wir auftraten, desto mehr Förderungen bekamen wir und desto größer wurde auch das Interesse von Unternehmen und Menschen mit Behinderungen, die Arbeitswelt inklusiver zu gestalten. Doch es fehlten die Informationen, wie das aussehen kann, und so gründeten wir 2019 die Initiative „JOBinklusive“.
Ihr Projekt versucht den Zugang zu fairen und gut bezahlten Jobs zu ermöglichen. Wie gehen Sie dabei vor?
Wir sind keine Jobvermittlung, sondern verstehen uns eher als Brückenbauerin. Das größte Probleme liegt nämlich darin, dass die Methoden und Lösungen, um Menschen mit Behinderung erfolgreich in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen, kaum bekannt sind. Mit Beratungsangeboten, Workshops und Informationskampagnen versuchen wir, diese Lücke zu schließen. Dabei können auch Medien helfen, indem sie über bereits bestehende Initiativen berichten. Es ist dafür ganz wichtig, die Menschen zu empowern, dass sie diesen Schritt auch wagen. Denn es gibt viele bürokratische Hürden, die abgebaut werden müssen. Deshalb treten wir auch mit der Politik in den Dialog.
Sie haben ja bereits die strukturellen Rahmenbedingungen als ein Problem genannt. An was liegt es noch, dass es Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt schwer haben?
Die meisten Menschen mit Behinderung werden früh von der Gesellschaft getrennt, sodass es gar keine Möglichkeit gibt, von den Stärken und Schwierigkeiten des Gegenübers zu lernen. Daraus entstehen Vorurteile und Berührungsängste. Häufig werden wir als Belastung gesehen, weil wir öfter krank seien oder besonderen Umgang bräuchten. Darüber hinaus ist der reguläre Arbeitsmarkt sehr auf Leistung ausgerichtet, sodass schnell das Bild entsteht, man könne nicht mithalten. All diese Dinge führen dazu, dass es schwer gemacht wird, Leute einzustellen. Dabei wird vergessen, wie viele Menschen mit Behinderung viel leisten könnten. Es gibt schließlich Positivbeispiele. Manche Arbeitgeberinnen oder Arbeitgeber setzen ihren Fokus anders. Nämlich darauf, soziale Lösungen und Wege für ein besseres Arbeitsklima zu finden. Aktuell werden allerdings noch viele Menschen in Sondereinrichtungen für ein geringes Taschengeld beschäftigt und ungenügend ausgebildet, um die nötigen Qualifikationen für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhalten.
Auch Lokalzeitungen erzählen die Geschichten von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Welche Aspekte fallen Ihnen dabei auf?
Es gibt es immer zwei Storys. Einmal die Heldengeschichte: Eine Person ist trotz Behinderung in der Lage, gut zu arbeiten. Zum anderen: Es werden Menschen mit Behinderungen in Werkstätten vorgestellt. Das suggeriert, dass es ein Erfolg ist, wenn Leuten in einer Sondereinrichtung arbeiten dürfen. Dabei wird vergessen, dass in der UN-Behindertenkonvention festgeschrieben ist, dass jeder Mensch mit Behinderung ein Recht auf Arbeit hat. Somit ist es nichts Herausragendes, in diesen Werkstätten arbeiten zu dürfen. Der Großteil der Gesellschaft sieht die Werkstätten als etwas Gutes an und denkt die Sondereinrichtungen gebe den Menschen eine Perspektive. So zeigen Zeitungen meistens nur die Zustände vor Ort, aber hinterfragen sie nicht. Meistens werden Beschäftigte gefragt: Wie findest du‘s hier? Damit wird Werbung für das bestehende System gemacht, statt zu schauen: Wie kann Inklusion im regulären Arbeitsalltag aussehen? Es wird sich eher gemütlich gemacht, man muss nicht mehr darüber nachdenken, dass überall inklusive Strukturen auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden müssen.
Sie sehen die Werkstätten für Menschen mit Behinderung kritisch. Worauf sollten Zeitungen in ihrer Berichterstattung achten, wenn sie über eine inklusive Arbeitswelt schreiben?
Ja, auf jeden Fall. Wir haben in dem Forschungsbereich der Wahrnehmungen von Ungleichheit auch einen Schwerpunkt auf das Thema „Framing“ gelegt. Also die Frage, wie eigentlich bestimmte Argumente in Diskursen „geframed“ oder dargestellt werden. Da gibt es zum Beispiel ein Projekt namens „Framing von Ungleichheit“. Das schaut sich die Darstellung der Flüchtlingskrise 2015/2016 mit linguistischen Methoden in unterschiedlichen Medien an und versucht die sprachlichen Konstrukte herauszuarbeiten, wie dieses Framing in unterschiedlichen Medien unterschiedlich passiert. Ich glaube in der Tat, dass man da noch spannende interdisziplinäre Perspektiven entdecken kann zwischen der Politikwissenschaft und der Linguistik, die bisher immer nebeneinander geforscht haben.
Was sollten Lokaljournalistinnen und -journalisten unbedingt vermeiden?
Alles fängt bei der Sprache an. Zu den gängigen Fehlern zählen Bezeichnungen wie „Behinderte“ oder negative Beschreibungen für die Beeinträchtigung. Außerdem werden oft Bilder gezeigt, die Menschen mit Behinderung in einer passiven Haltung zeigen. Zum Beispiel in einem viel zu großen Rollstuhl oder in Momenten, wo sie geschoben werden. Viel wichtiger sind doch positive Assoziationen, die die Menschen auf Augenhöhe zeigen. Jeder von uns möchte doch in einem guten Bild in der Lokalzeitung abgelichtet werden.
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