Blockaden, Kleber und Kartoffelbrei
von Katharina Dodel
Herr Würzer, am 24. Januar 2022 saß in Berlin-Pankow rund ein Dutzend Personen auf einer Kreuzung. In Steglitz wurde die Auffahrt zur A 100 blockiert. Vor einem Jahr hat die Protestgruppe „Letzte Generation“ erstmals Straßen in Berlin besetzt. Was hat sich seither getan?
Ganz viel. Die Klimaaktivisten sind heute anders im Gespräch als vor einem Jahr. Organisationen wie „Ende Gelände“ oder „Extinction Rebellion“ waren ein Phänomen, das man vielleicht in Berlin gekannt hatte. Die waren anfangs für eine Woche da, sind aufs Brandenburger Tor geklettert, haben sich dort angekettet – man hat das vielleicht schon wahrgenommen außerhalb, aber es waren immer einzelne Aktionen, die schnell in Vergessenheit geraten sind. Jetzt ist das anders: Es gibt viel häufiger Blockaden in Berlin, auch in kleineren Städten wie Kempten im Allgäu. Vehement und dauerhaft – jeder war schon einmal betroffen. Vor allem die „Letze Generation“ ist deutschlandweit bekannt. Das Thema hat sich festgesetzt – und dadurch entsteht ein anderer gesellschaftlicher Diskurs zum Thema als noch vor einem Jahr.
Welcher?
Man hat angefangen, sich eine Meinung darüber zu bilden, sich zu hinterfragen: Wie finde ich die Aktionen denn überhaupt? Können wir vielleicht wirklich was fürs Klima tun? Es wird nicht mehr nur in gut oder schlecht unterteilt, langsam wird gesellschaftlich und politisch an Lösungen gedacht.
Wird dieser Wandel auch in der Art der Berichterstattung deutlich?
Am Anfang war das auch ein bisschen Schwarz-Weiß-Denken beziehungsweise waren Klimaproteste ein neues Phänomen, und es war viel Neugierde da: Wer ist das? Wie laufen die Proteste ab? Man hat versucht, die Gruppen einzuordnen. Im Laufe der Zeit haben viele Zeitungen angefangen, eine Haltung dazu zu entwickeln. Am Anfang wurde lange über die Protestform an sich gesprochen. Jetzt muss man sich davon lösen. Man muss sich tiefergehend damit befassen und aufdröseln, was die Vorschläge bringen könnten, die die Klimaaktivisten ins Feld führen, oder wo sie danebenliegen. Das ist letztlich für die Demokratie ein wichtiger Schritt: Da sind Aktivisten, die machen auf ein Thema aufmerksam. Jetzt befasst sich jeder damit.
Sie berichten immer wieder über „Letzte Generation“ und „Extinction Rebellion“. Wie erleben Sie die Menschen im Gespräch? Wie ist Ihre Auffassung von Demokratie?
Da machen sie ja bei „Letzte Generation“ keinen Hehl daraus, dass sie durchaus bereit sind, für ihre Forderungen ins Gefängnis zu gehen. Worin ich ein Problem sehe, gerade bei der „Letzten Generation“: Gewaltfreiheit wird nicht klar definiert. Der Protest findet zwar weitgehend gewaltfrei statt. Aber ich habe den Eindruck, Gewalt abzulehnen heißt dort, Gewalt gegenüber Menschen abzulehnen, eine klare Abgrenzung zu weiterer Gewalt findet nicht statt. Man ist durchaus bereit, Sachbeschädigungen vorzunehmen, Kohlebagger auseinanderzunehmen, den Verkehr lahmzulegen. Und es findet auch keine Abgrenzung zu anderen Gruppierungen statt.
Wie meinen Sie das?
Die „Interventionistische Linke“ solidarisiert sich zum Beispiel mit der „Letzten Generation“. Man teilt die Aufrufe. Das ist eine Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet und als linksextrem eingestuft wird. Das finde ich bedenklich. Die „Letzte Generation“ müsste da ein klares Zeichen setzen, dass sie sich von Institutionen und Organisationen, die demokratiefeindlich sind, abgrenzt. Es besteht die Gefahr, dass sich da doch der ein oder andere drin befinden könnte, der sich nicht innerhalb des Rechtsstaats aufhält.
Für Journalisten heißt das, noch genauer hinzuschauen.
Ja. Die „Letzte Generation“ hat weitere Klimaproteste angekündigt. Da gilt es, genau hinzusehen, wie sich das entwickelt. Denn man muss betrachten, woher diese Bewegung kommt: Sie hat sich damals aus „Extinction Rebellion“ herauskristallisiert, da dort viele der Meinung waren, die Bewegung bringt nicht viel und man müsse noch härter werden. Da besteht eine Gefahr, dass sich aus dieser Bewegung wieder ein Kristall löst, der der Meinung ist, man müsse noch härter werden. Und was ist dann die nächste Stufe?
„Das ist ein wichtiger Schritt für die Demokratie: Da sind Aktivisten, die machen auf etwas aufmerksam. Jetzt befasst sich jeder damit.“
Laut „Letzter Generation“ sind es derzeit rund 600 Mitglieder und weitere Menschen, die zum Beispiel Geld spenden. Verfolgen Sie die interne Organisation auch?
Ich habe mir mehrere Meetings der „Letzten Generation“ angeschaut. Also Treffen, bei denen eine Aktivistin oder ein Aktivist von Protesten erzählt, die Ziele der Gruppe beschreibt, um neue Anhänger zu gewinnen. Am Ende des eineinhalbstündigen Vortrags steht man vor der Wahl, ob man das weiter begleiten will. In den Meetings saßen oft viele sehr junge Menschen, 18, 19 Jahre alt, die ein bisschen verloren schienen. Ich hatte das Gefühl, es wird nach Leuten geschaut, die nach einer Aufgabe suchen und noch nicht so richtig wissen, was sie mit ihrem Leben machen wollen. Ich finde das bedenklich: Das kann dazu führen, dass man junge Menschen in etwas treibt, was sie vielleicht in einigen Jahren bereuen. Es ist etwas anderes, wenn man am Anfang sagt: Wir kämpfen für eine große Sache, für das Klima. Dann steht diese Person vielleicht ein paar Mal vor Gericht, bekommt Geldstrafen. Das summiert sich über die Jahre. Was bedeutet das für eine Person, die für den Aktivismus das Studium oder den Beruf aufgegeben hat?
Die einen sagen: Die Demokratie braucht diese mahnenden Aktionen, die anderen finden, die Ideen der Klimabewegung seien zum Teil antidemokratisch. Was sagen Sie?
Wir brauchen einerseits einen gewissen Aktivismus für die Demokratie, der Gedanken und eine Debatte anstößt. Andererseits finde ich es auch richtig – und das zeigt, dass unsere Demokratie funktioniert –, dass man sich nicht erpressen lässt. Das ist vielleicht ein ganz kurz skizziertes Bild, aber man möge sich vorstellen: Wenn jeder sich für seine Interessen einfach lang genug anklebt und das würde durchgepeitscht werden, das funktioniert nicht. Ich finde, dass man auf der einen Seite hart bleiben sollte in der Politik, auf der anderen Seite stellen die Aktivisten eine Art Maximalforderung, die gilt es, auf verschiedenen Ebenen zu diskutieren. Und am Ende wird es vielleicht eine neue Regierung geben, die 30 Prozent davon aufnimmt, was ja immerhin ein Schritt in die richtige Richtung wäre.
Interview: Katharina Dodel
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