Das Tabu ist auf dem Platz
von Katharina Schulz
Die Eröffnung der Fußball-Europameisterschafft rückt näher, und mit ihr die Hoffnung auf ein Sommermärchen 2024. Auch über ein mögliches Gruppen-Coming-out von homosexuellen Profifußballern wurde viel berichtet; es sollte europaweit am Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie stattfinden. Passiert ist letztlich nichts.
Dennoch: Über Homosexualität im Fußball wird heute häufiger gesprochen als noch vor einigen Jahren. Das ist in Deutschland unter anderem dem ehemaligen Nationalspieler Thomas Hitzlsperger zu verdanken, der seit seinem Coming-out 2014 zu einer Art Galionsfigur im Kampf gegen Homophobie im Fußball wurde. Aus den Reihen der deutschen Profis bleibt er damit aber vorerst der Einzige: Bis heute gibt es keinen aktiven deutschen Profifußballer, der sich als homosexuell geoutet hat. Zu groß der öffentliche Druck und die Angst vor Anfeindungen und Karrierenachteilen. Während man also gesamtgesellschaftlich mit größeren Schritten in Richtung Diversität und Offenheit schreitet, scheint Homosexualität im Fußball noch immer problematisch zu sein. Und das gilt nicht nur für den Profibereich, sondern zieht sich bis in die Amateurligen, wie Lokalzeitungen immer wieder berichten.
Erst im Februar dieses Jahres kursierten Aufnahmen im Netz, die mehrere österreichische Nationalspieler nach dem Wiener Derby beim lautstarken Singen homophober Sprechchöre zeigten. Auch Fans aus der Rostocker Fankurve hissten bei einem Spiel gegen St. Pauli im August 2022 ein Transparent, das sich unmissverständlich gegen Schwule richtete. Vorfälle wie diese werden zwar seltener und hart geahndet, sind aber dennoch keine Einzelfälle: 52,6 Prozent der Stehplatz-Besucherinnen und -besucher im Stadion gaben laut Statista an, schon einmal Zeuge von homophonen Beleidigungen geworden zu sein (Stand: Mai 2022). Auch im Amateurfußball sind Beleidigungen dieser Art keine Seltenheit. Dennoch outeten sich hier laut Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in den vergangenen Jahren mehr und mehr Spieler, Schiedsrichter oder Sportfunktionäre öffentlich; queere Vereine – vor allem in den Städten – sorgen für mehr Repräsentanz.
Ein bisexueller Schiedsrichter im Kölner Stadt-Anzeiger
Uli Kreikebaum arbeitet seit vielen Jahren als Redakteur beim Kölner Stadt-Anzeiger. Er hat sich für ein Porträt mit Pascal Kaiser getroffen, einem bisexuellen Schiedsrichter aus Köln. Seiner Verantwortung als Journalist ist sich Kreikebaum bewusst: „Wir können mit unseren Inhalten dazu beitragen, dass Diskurse angeregt und vorangetrieben werden und können so für mehr Toleranz werben.“ Das Porträt wurde als Teil eines Themenschwerpunktes Homophobie im Fußball veröffentlicht, der anlässlich der EM im Kölner Stadt-Anzeiger erscheint. „Besonders in einer Großstadt wie Köln, die für ihre Toleranz bekannt ist und in der auch EM-Spiele stattfinden, ist das Thema wichtig“, meint Kreikebaum. In seinem Text stellt er den 25-jährigen Kaiser vor, der sich vor zwei Jahren als bisexuell outete und seither als Aktivist für die queere Community laut wird. Sogar den DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf hat Kaiser getroffen. „Er hat tiefe Einblicke in die Szene und steht auch mit schwulen Spielern aus der Bundesliga im Kontakt.“ Sein Coming-out, erzählte Kaiser dem Redakteur, war für ihn eine große Befreiung, die Reaktionen darauf „überwältigend“.
Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten
Mit Kaiser traf der Redakteur auf einen Gesprächspartner, der zwar sehr professionell und medienerfahren sei, trotzdem aber vorsichtig sein müsse, immerhin stehe er „mit Spielern im Kontakt, die sich noch nicht öffentlich geoutet haben“. Das erfordere besondere Sensibilität und eine persönliche Gesprächsebene. Dass Kaiser selbst auch Opfer von schwulenfeindlichen Anfeindungen wurde, macht Kreikebaum in seinem Text deutlich. Die überwiegend positiven Reaktionen auf sein Outing aber gäben dem Schiedsrichter die Kraft, mit dem Hass umzugehen. Kaisers Erzählungen zeigen, welche Folgen ein Coming-out als homo- oder bisexueller Mann im Fußball tatsächlich haben kann. Sie zeigen aber gleichermaßen, was der Mut eines Einzelnen bewegen und inspirieren kann. So hätten sich bislang zehn oder elf Fußballer und Schiedsrichter bei Kaiser gemeldet, darunter auch Spieler aus der Bundesliga. „Du hast mir Mut gemacht“, haben sie gesagt. Auf einer Podiumsdiskussion mit anschließendem Screening der Dokumentation "Das letzte Tabu" wird Pascal Kaiser neben anderen Sprechern am 10. Juni im Kölner Rheinauhafen auf der Bühne stehen, um über das Thema Homophobie im Fußball zu sprechen.
Den vollständigen Artikel lesen sie hier.
Ein Stück versteckte Identität: Ein Spieler im Porträt der Rheinpfalz
Ein weniger hoffnungsvolles Bild zeichnet die Rheinpfalz (Ludwigshafen). Für seinen Artikel vom 12. September 2023 sprach Michael Wilkening mit einem schwulen Kreisklassespieler aus Ludwigshafen. Ein Coming-out im Kreise seiner Mitspieler war für ihn bisher keine Option. Paul, wie Wilkening den Spieler nannte, ginge es nicht um die Angst vor Übergriffen oder vor tatsächlicher Homophobie. Vielmehr befürchte er, von seinen Teamkollegen anders behandelt zu werden. Wilkening ist Sportredakteur der Rheinpfalz und plante schon lange, über Homophobie im Fußball zu schreiben. Einen Gesprächspartner zu finden, sei allerdings gar nicht so leicht gewesen: „Meine ersten Versuche verliefen alle im Sande. Dann gab mir eine Freundin den Tipp, mich an einen queeren Fußballverein in Mannheim zu wenden“, erzählt der Redakteur. So entstand der Kontakt zu Paul, der auch im Mannheimer Team kickt und bereit war, mit Wilkening über seine Homosexualität zu sprechen – allerdings nur anonym.
Die Ungewissheit vorm Coming-out
Die beiden trafen sich auf Pauls Wunsch in ungestörter Atmosphäre in der Redaktion. In etwa eineinhalb Stunden sprachen sie über die Angst vor einem Coming-out im Kreisligateam und über Pauls Sorge, plötzlich als anderer Spieler oder gar Mensch wahrgenommen zu werden. In seinem bisherigen Leben habe er keine Nachteile aufgrund seiner Homosexualität erfahren, sei nicht diskriminiert worden. Doch im Fußball sei das anders; hier sei das, was andernorts längst normal ist, alles andere als normal.
Wilkenings Porträt beschreibt die vorherrschende Homophobie im Fußball oder die Angst davor als subtilen Unterton, der den Männersport noch immer dominiere. Er äußert sich für homo- oder bisexuelle Spieler in einer ständigen Ungewissheit darüber, ob das Coming-out nun zum Befreiungsschlag oder doch zum folgenreichen Fehltritt wird. Aus dieser Unsicherheit heraus verzichten vor allem Profi-Spieler auf den Gang in die Öffentlichkeit. Je häufiger also über Homophobie im Fußball berichtet und das Problem als solches benannt wird, desto geringer die Hemmschwelle, sich für ein öffentliches Coming-out zu entscheiden. Gerade deshalb können auch Lokalzeitungen eine entscheidende Rolle darin spielen, Homo- oder Bisexualität im Fußball mehr und mehr zu enttabuisieren.
Das Porträt in der Rheinpfalz lesen sie hier.
drehscheibe-Tipps:
- Während viele schwule Fußballer noch immer im Schatten der Öffentlichkeit bleiben, gehen zahlreiche Frauenmannschaften offener mit der Sexualität ihrer Spielerinnen um. Ein Sportredakteur oder eine -redakteurin befragt Spielerinnen aus dem lokalen Verein, wie bei ihnen über Homo- oder Bisexualität gesprochen wird. Außerdem: Was kann schwulen Fußballern beim Coming-Out helfen? Die Redaktion sammelt Tipps aus der Leserschaft und gestaltet eine Themenseite zum Thema Homophobie im Fußball.
- Homophobe Beleidigungen sind nur ein Teil des oftmals harschen Tons, der im Männerfußball vorherrscht. Sie verletzen dabei häufig auch unbewusst. Eine Pädagogin oder ein Pädagoge im Gespräch über Diversitätskompetenz und darüber, wie man junge Spieler für Homophobie sensibilisieren kann.
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