Mit statt über Menschen reden
von Josephine Macfoy
Beim Thema Migration sind die Meinungen in Deutschland oft zwiegespalten. Eine Reihe von Messerangriffen durch Migranten hat die Diskussion erneut auf Sicherheitsprobleme, den Islamismus und die Frage gelenkt: Wer sollte zuwandern dürfen – und wer muss das Land verlassen? Die starke Zunahme rassistischer Attacken und die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen wiederum verdeutlichen Gefahren durch Rechtsextremismus. Derweil führt der Gaza-Krieg auch hierzulande zu großen Spannungen und Gewalt zwischen migrantischen Bevölkerungsgruppen.
Vielfältiger Blick auf die Gesellschaft – ein Podcast-Projekt
Was bewegt Menschen, die selbst eine Migrationsgeschichte haben, in solchen Zeiten? Ein vierköpfiges Volontärsteam der Allgemeinen Zeitung aus Mainz hat sich damit in einer Podcast-Serie, in Artikeln und Videos tiefergehend auseinandergesetzt. Alle Beteiligten haben selbst Wurzeln im Ausland. Teilweise haben sie mittlerweile ihre Ausbildung beendet.
Auf einer Übersichtsseite zur Serie erklärt das Team zunächst den Begriff „Migrationshintergrund“ und gibt anhand von Statistiken einen Überblick über die betreffenden Bevölkerungsgruppen. Alle acht Folgen des Podcasts „Zwischen den Welten“ kann man dort kostenfrei hören. Die Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten beleuchten darin unterschiedliche Aspekte des Lebens zwischen zwei Kulturen. Dazu interviewen sie Menschen aus der Region: Das Publikum lernt etwa Hava Ocak kennen, die lange nach einer Arbeitsstelle in Deutschland gesucht hat und oft aufgrund von Vorurteilen wegen ihres Kopftuches als Bewerberin abgelehnt wurde. Ein anderes Beispiel ist Saphira Conradi, eine Deutsch-Inderin, die berichtet, wie herausfordernd es sein kann, wenn man mal in der einen, mal in der anderen Gesellschaft ausgegrenzt wird.
Entstehung und Umsetzung – das Team über Hintergründe
Die Interviews hat das Team je nach Vorwissen und Interesse aufgeteilt. Ein Kriterium auch: Lebenserfahrungen, die den eigenen journalistischen Blick auf das Thema Migration geprägt und geschärft haben. Was die persönlichen Beweggründe für das Projekt ausmacht, erklärt die Podcast-Redaktion auf der Startseite in Statements der einzelnen Teammitglieder.
Emanuel Arzig, Vanessa Felix Arroja, Anita Pleic und Nadja Bedoui haben uns schriftlich einige Fragen zur Entstehung und Umsetzung des Projektes beantwortet:
Was wollten Sie mit dem Format bewirken?
In ganz Deutschland haben 29 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Damit einher gehen verschiedene Herausforderungen, die unserer Meinung nach in der Berichterstattung häufig unterrepräsentiert sind. Oft wird über die Menschen gesprochen, statt mit ihnen, wodurch eine wertvolle Perspektive verloren geht. Genau das wollten wir mit unserer Serie anders machen. Ursprünglich war die Serie als Artikel-Reihe geplant. Während der Konzeptionierung kam schnell die Idee auf, sie multimedial zu gestalten, um eine möglichst große Zielgruppe zu erreichen – mit einem Podcast sowie Teaservideos für Social Media.
Wie haben Sie die Gesprächspartnerinnen und -partner ausgewählt?
Einerseits haben wir Protagonistinnen und Protagonisten aus unserem persönlichen Umfeld gefunden, beispielsweise, weil sie sich besonders mit dem jeweiligen Thema befassen. Darüber hinaus haben wir einen Aufruf über unsere Social-Media-Kanäle gestartet. Darauf haben sich einige Menschen gemeldet.
Wie ist die Produktion abgelaufen?
Zunächst haben wir Vorgespräche mit den Protagonistinnen und Protagonisten geführt. Dann haben wir uns mit ihnen zur Podcast- und Video-Aufnahme getroffen. In der Zwischenzeit hat unser Kollege aus der Audioredaktion, Mike Dornhöfer, sich um das Sounddesign gekümmert. Das Team der Mediengestaltung hat die Grafikelemente der Serie erstellt. Wir haben Fragen an Expertinnen und Experten geschickt und anhand des Interviews unsere Moderation aufgenommen. Im Anschluss haben wir mit Hilfe der Audioredaktion die Podcast-Folgen geschnitten und uns um passende Artikel fürs Digitale und für Print gekümmert. Online waren die Artikel von Beginn der Serie an zugänglich. Diese wurden über neun Wochen auf Social Media mit den jeweiligen Teaservideos gepostet. Auch unsere Business-to-Customer-Abteilung hat die Artikel innerhalb unserer Newsletter vermarktet. Für Print fiel die Entscheidung, die Serie zusammen mit Hintergrundseiten über neun Wochen hinweg zu veröffentlichen. Auf die jeweilige Podcast-Folge haben wir darin mit einem QR-Code hingewiesen.
Haben Sie Tipps für den Umgang mit dem Thema Migrationsgeschichte?
Das Thema nicht von vornherein abtun. Personen mit Migrationshintergrund sind ein großer Teil unserer Gesellschaft. Durch Berichterstattung fühlen sie sich gesehen. In Debatten, in denen es etwa um Geflüchtete geht, sollte man sich bewusst machen, dass hinter den (eher abstrakten) Begriffen Individuen stehen und keine homogenen Menschengruppen. Auch wenn die Lebensrealität von Menschen mit Migrationshintergrund von vielen Herausforderungen wie Rassismus und Diskriminierung geprägt ist, ist es wichtig, Positivbeispiele zu thematisieren, etwa interkulturelle Ehen oder ehrenamtliches Engagement. Oft wird in negativen Kontexten wie Kriminalität oder Krieg über Menschen mit Migrationshintergrund berichtet. Dadurch wird ein großer Teil der Lebensrealität der Menschen nicht gezeigt. Das trägt zu einem verzerrten Bild bei. Bleiben Sie offen für den Austausch und andere Perspektiven. Bei der Suche nach Protagonistinnen und Protagonistern hilft ein Aufruf über Social Media sehr. Zum Teil bekommt man unzählige Zuschriften, in denen die Menschen ihre Freude darüber ausdrücken, dass solche Themen endlich behandelt werden. Gerade wenn es um schwere Themen wie eigene Erfahrungen mit Rassismus geht, braucht es selbstverständlich Fingerspitzengefühl. Uns hat es geholfen, vorher unsere Fragen mit Kolleginnen und Kollegen zu besprechen.
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