Themenwoche Vertrauen 2025

„Vertrauensverlust geht sehr schnell“

von Stefan Wirner

Die Gesellschaft braucht ein Mindestmaß an Vertrauen Vertrauen (Foto: AdobeStock/ Anton Gvozdikov).
Die Gesellschaft braucht ein Mindestmaß an Vertrauen Vertrauen (Foto: AdobeStock/ Anton Gvozdikov).

 

Bei manchen Menschen ist das Vertrauen in unsere Gesellschaftsform schwächer geworden. Andere haben sich radikalisiert. Welche Prozesse waren die Auslöser? Was kann der Lokaljournalismus in dieser Lage bewegen? Ein Gespräch mit dem Soziologen Martin Endreß.

 

Herr Prof. Endreß, eine Frage vorweg: Lesen Sie Lokalzeitungen?

Lokalzeitungen nehme ich nur gelegentlich zur Kenntnis. Regelmäßig eher Wochen- und Tageszeitungen, also überregionale.

Und vertrauen Sie diesen Zeitungen?

‚Vertrauen‘ ist in diesem Zusammenhang ein großes Wort. Ich würde den Begriff nicht verwenden. Ich würde eher danach fragen, inwiefern ich diese Presse für seriös halte und Beiträge für solide recherchiert. Also fragen, inwiefern die Artikel über hinreichenden Hintergrund verfügen und aufgrund ihrer Substanz und Argumentation überzeugen. Und das würde ich dann schon sagen im Hinblick auf die, die ich lese. Aber das sind mehrere. Ich würde mich nie auf nur ein Medium konzentrieren, sondern immer mehrere zur Kenntnis nehmen, und das natürlich auch gepaart mit den Fernsehnachrichten oder Diskussionssendungen. Es handelt sich also eher ein Potpourri der Information.

Bei vielen Menschen scheint das Vertrauen in die Medien zu einem Teil verloren gegangen zu sein. Nicht nur in die Medien, sondern in die Demokratie und unsere Gesellschaftsform allgemein. Teilen Sie diese Beobachtung? Ist dieses Vertrauen angekratzt?

Erlauben Sie mir dazu eine differenziertere Antwort. Es wird ja vielfach Corona als zentraler Bruch oder als dynamisierender Faktor für den Vertrauensverlust in Demokratie oder Institutionen angeführt. Nüchtern betrachtet müssen wir aber feststellen, dass weit vor Corona, schon mindestens ab 2016, ein schwindende Vertrauen in Politik, Medien und Institutionen Thema war. Es ist schwer, hier einen eindeutigen Schwellen- oder Kipppunkt festzumachen. Außerdem können wir – zweitens – keine eindeutigen Rückgänge von Vertrauen ausmachen. Es handelt sich eher um Wellenbewegungen. Und drittens würde ich sagen, dass es im Kern eine sehr absolute Vorstellung ist, dass alle den Medien und der Politik vertrauen sollten. Gerade Demokratien leben davon, dass es immer ein gewisses Maß an Misstrauen, dass es eben auch Bedenken und kritische Aspekte gibt. Demokratie ist im Kern ein politisches System, das darauf aufbaut, das Misstrauen auf Dauer zu stellen. Es gibt in der Demokratie eine institutionalisierte Skepsis, davon lebt diese Herrschaftsform. Deshalb haben wir verschiedene Institutionen, unterschiedliche Ebenen, also Revisionsverfahren und Ähnliches. Das heißt, wir vertrauen in ein institutionalisiertes System des Misstrauens oder zumindest des Befragens von Vertrauen. Es ist eben kein System des blinden Vertrauens, sondern ein politisches System eines reflektierten und überlegten Vertrauens, in dem es auf Glaubwürdigkeit, Plausibilitäten und argumentative Überzeugung ankommt.

Nun ist es das eine, wenn man sagt: „Ach, was die jetzt wieder schreiben, das ist überhaupt nicht meine Meinung.“ Aber etwas anderes ist es doch, wenn Vorwürfe erhoben werden wie etwa der „Lügenpresse“, wenn es Attacken auf Journalisten gibt, wenn Kameraleuten auf den Demos die Kamera zugehalten wird oder sie angerempelt werden. Das ist doch mehr als diese institutionalisierte Skepsis, oder?

Das ist ein anderer Sachverhalt, eine Radikalisierung von Kritik oder Skepsis, die sich in den letzten Jahren vollzogen hat. Diese Exzesse, die zugenommen haben, haben mit einer Radikalisierung von spezifischen Milieus zu tun. Sicherlich gibt es da Ereignisse oder Prozesse, die zu diesen Radikalisierungen geführt haben.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Wir hatten eine relativ lange Phase von Politik, in der sich so etwas wie ein Eindruck von Stagnation und Differenzverlust eingestellt hat. Das gilt wohl insbesondere für die Regierungsjahre unter Merkel. Politik wurde quasi unsichtbar in diesem Land. Dieses Gefühl  eines schlichten Immer-so-weiter, einer Entpolitisierung des öffentlichen Raumes. U.a. dadurch kamen diese Einschläge wie beispielsweise Corona, wie die mangelnde Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals oder der Überfall auf die Ukraine so völlig überraschend für dieses Land. Wir lebten in einem Schlaraffenland und wurden plötzlich ins kalte Wasser geworfen. Das führte zu einem massiven Erosionsprozess dessen, was man dann gerne Vertrauen nennt. Ich würde sagen, dass u.a. dies zu diesen Radikalisierungen führte; zu diesen klaren Absagen an das System dieser Demokratie.

Viele Redaktionen fragen sich nun, ob sie in den vergangenen Jahren bestimmte Stimmen nicht ausreichend haben zu Wort kommen lassen, zum Beispiel in der Corona-Krise. Wurden da Kritiker pauschal abgewürgt, zum Beispiel. Und die Redaktionen versuchen jetzt in einer Art Transparenzoffensive, Ihre Arbeit wieder besser zu erklären, sie lassen die Menschen hinter die Kulissen blicken und werben auf diese Art um Vertrauen. Wie hilfreich finden Sie so etwas?

Immens hilfreich und unbedingt notwendig. Es geht darum, Glaubwürdigkeit oder Plausibilität zurück zu gewinnen. Gerade im Zuge der Pandemie erlebten wir eine wechselseitige Verschwörungs-Ausgrenzung. Der Mainstream ging immer davon aus, dass all diejenigen, die Corona leugnen oder sich nicht impfen lassen, im Prinzip einem Verschwörungsdenken anhängen, während die anderen umgekehrt die etablierte Politik als Verschwörung oder als von oben gesteuert ansahen, so dass man sich also wechselseitig in einer Ausgrenzungsdynamik wiederfand. Das funktioniert perfekt, weil jede Seite dabei immer recht hat. Genau diese strukturelle Blockade muss dringend aufgebrochen werden, denn sie ist ein zentraler Motor für diese Radikalisierung und für das, was wir gerne immer wieder Vertrauens-Erosion nennen.

Wie optimistisch sind Sie, dass es klappt?

Vertrauensverlust geht sehr schnell. Vertrauensaufbau ist eine Herkulesaufgabe, die extrem viel Zeit, viel Geduld benötigt. Ob in der Kommune oder auf Bundesebene, wo sich ja jetzt Parteien zusammenzufinden versuchen. Es muss so etwas wie der Eindruck entstehen: Ja, es wird etwas getan, die Politik bewegt sich und sie ist an den Problemen orientiert, die von der Bevölkerung als zentral angesehen werden.

Interview: Stefan Wirner

 

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Prof. Dr. Martin Endreß

ist Professor für für Allgemeine Soziologie an der Universität Trier. E-Mail: endress@uni-trier.de

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