Weniger Lokaljournalismus – mehr AfD
von Stefan Wirner
Weniger Lokaljournalismus – mehr AfD? Das legt zumindest das Ergebnis einer Masterarbeit an der Universität Stuttgart nahe. Wir sprachen mit dem Verfasser Maxim Flößer.
Herr Flößer, Sie haben in Ihrer Masterarbeit im Studiengang Empirische Politik- und Sozialforschung an der Universität Stuttgart das Verhältnis von Lokaljournalismus und AfD untersucht. Was haben Sie herausgefunden?
Im Wesentlichen habe ich mich damit beschäftigt, was mit Regionen und Gemeinden geschieht, die keine Lokalzeitung haben. Wie verhalten sich die Bürgerinnen und Bürger dort bei Wahlen, insbesondere was die AfD betrifft? Ich wollte herausfinden, ob es da einen Zusammenhang gibt. Ist der Lokaljournalismus da ein Faktor? Wir gehen ja davon aus, dass Lokalmedien eine wichtige Stütze sind für die Demokratie. Für meine Arbeit habe ich mir rund 1000 Gemeinden in Baden-Württemberg angesehen, und zwar unter der Maßgabe: Haben die Gemeinden eine Lokalzeitung, einen Lokalteil oder eben nicht. Und ich konnte zeigen, dass in den Gemeinden, wo es Lokaljournalismus gibt, statistisch signifikant weniger Menschen für die AfD stimmen. Es gibt da also einen Zusammenhang.
Wie sah das Ergebnis im Detail aus?
Die Gemeinden, die keine Lokalzeitung hatten, die ich in meiner Arbeit als „Nachrichtenwüsten“ klassifiziert habe, hatten einen Anteil an AfD-Stimmen, der um rund 1,6 Prozentpunkte höher lag als die mit Lokalzeitung. Nur leben wir natürlich nicht im luftleeren Raum, und sicherlich kann alleine das Vorhandensein einer Lokalzeitung nicht erklären, warum Menschen wie wählen. Darum habe ich noch andere Faktoren berücksichtigt: die Alterstruktur der Gemeinden, die Arbeitslosenrate, die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Männern, Frauen und Migrationsanteil, aber auch die Wirtschaftsleistung der Gemeinden. Denn häufig wird vermutet, dass der Wirkzusammenhang auch andersherum sein könnte und die Gemeinden ohne Lokalzeitung einfach die strukturschwächeren sind. Das konnte ich durch die Berücksichtigung der weiteren Faktoren ein Stückweit neutralisieren. Denn es gab immer noch einen statistisch signifikanten Unterschied von 0,6 Prozentpunkten.
Wie erklären Sie sich das Ergebnis?
Ich denke, dass die Lokalzeitung eine wichtige Rolle in der medialen Infrastruktur einnimmt, die wir brauchen, um Demokratie verstehen zu können. Unsere Demokratie ist mittlerweile fast zu 100 Prozent medial vermittelt. Alles, was passiert, kriegen wir über Artikel, Videos oder irgendwelche Push-Nachrichten mit. Wenn ich über die Lokalzeitung erfahre, was vor Ort geschieht, kann ich eher mitreden und mich einbringen. Und meine Position kann eher gehört werden, indem sie den Entscheidungsträgern medial vermittelt wird. Das fördert Demokratiezufriedenheit und eine Zufriedenheit mit den sozialen Zusammenhängen. Lokalzeitungen fungieren wie ein Puffer, der es abfangen kann, wenn Menschen unzufrieden sind mit dem Zusammenleben oder den Entscheidungsträgern. Wenn ich nicht verstehe, warum vielleicht eine Kita abgerissen wird oder irgendwo eine Erstaufnahmestelle eingerichtet wird, wenn ich das nicht nachvollziehen kann, warum ein Unternehmen in der Region stark ist und es da vielleicht Korruption gibt, dann fördert das Unzufriedenheit und steigert die Chance von populistischen Parteien. Das ist natürlich ein wichtiger Befund, wenn wir gleichzeitig lesen, dass der Lokaljournalismus zurückgeht, Lokalredaktionen schließen und immer weniger Menschen Lokalzeitungen abonnieren.
Sie haben ja eine Art Datenjournalismus gemacht. Aber die Art und Weise der Berichterstattung der jeweiligen Lokalzeitung konnten Sie dabei wahrscheinlich nicht berücksichtigen, also zum Beispiel die politische Tendenz oder dergleichen.
Nein, das war nicht möglich. Eine großflächige Medieninhaltsanalyse ist ein sehr aufwendiges Unterfangen. Das ist von einer Person nicht zu leisten, auch aus wissenschaftlicher Sicht nicht. Das könnte man natürlich als Kritikpunkt an meiner Arbeit sehen. Ich kann den Stimmenanteil nicht in Beziehung setzen zur Berichterstattung der jeweiligen Zeitung. Man muss natürlich auf die Inhaltsebene schauen, auch auf die Mediennutzungsseite, wie häufig wird die Zeitung gelesen etc. , wie ordnen die Menschen das ein. Ich habe nur den ersten Schritt gemacht. Es bräuchte aber dringend weiterführende Forschungen, um diese Fragen näher zu beleuchten.
Als Konsequenz würde Ihr Forschungsergebnis bedeuten: Lokaljournalismus unterstützen, keine Lokalredaktionen schließen, Demokratie retten?
Im Prinzip ja. Mir ist natürlich bewusst, dass lokale Verlage unter finanziellem Druck stehen oder aus strategischen Gründen Redaktionen schließen, aber die Kernbotschaft ist: Die Lokalzeitungen spielt eine Rolle bei der Frage, ob die Menschen für die AfD stimmen oder nicht. Deshalb sollten wir alles dafür tun, dass es weiterhin Lokaljournalismus gibt. Wie das aus marktwirtschaftlicher Perspektive passieren soll, das kann ich nicht beantworten. Aus demokratietheoretischer Sicht kann man sagen: Wir brauchen Redaktionen, die die Inhalte sauber und kritisch aufarbeiten und präsentieren. Wir kriegen ein noch größeres Problem, wenn die Informationsgewinnung völlig in Social Media abwandert, denn da wird nicht nach journalistischen Standards gearbeitet. Lokalzeitungen können die Probleme der Menschen sehr gut in den Blick nehmen, sehr persönlich, sie sind nah dran. Wir brauchen einen gut aufgestellten Lokaljournalismus.
Reicht es schon, über die Dinge zu berichten, um den Menschen ihre Unzufriedenheit über bestimmte Umstände zu nehmen?
Wir müssen uns bewusst machen: Es gibt sehr viele, sehr gute und berechtigte Gründe, warum die Menschen unzufrieden sind: die Inflation, seit Jahren sind die Reallöhne nicht gestiegen, Transformationsprozesse, die vielen Menschen schwer fallen etc. Und im medialen Theater spielen auch viele Akteure mit, die dafür sorgen wollen, dass Menschen unzufrieden sind. Deswegen brauchen wir Journalistinnen und Journalisten, die sich dieser Themen annehmen und den Menschen erklären, woher die Probleme rühren, was die Ursachen sind. Gerade auf der lokalen Ebene ist das möglich, und ich glaube, damit kann man den Menschen etwas von ihrer Unzufriedenheit nehmen. Ich sage allerdings nicht, dass Lokaljournalismus dabei der einzige Weg ist. Er ist ein Faktor, es gibt natürlich viele andere.
Interview: Stefan Wirner
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