Themenwoche Migration

Zielgruppe statt Zielscheibe

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Nach wie vor hat Deutschland eine relativ große Zeitungsvielfalt, aber ist auch was für Menschen mit Migrationshintergrund dabei? (Foto: AdobeStock/ifeelstock )
Nach wie vor hat Deutschland eine relativ große Zeitungsvielfalt, aber ist auch was für Menschen mit Migrationshintergrund dabei? (Foto: AdobeStock/ifeelstock )

Landauf, landab verlieren Lokalzeitungen an Lesern. Währenddessen ist der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in der Bundesrepublik immer weiter angestiegen – eine große Gruppe von potenziellen Lesern. Haben Lokalredaktionen sie als Zielgruppe aus den Augen verloren?

Anna-Carina Zappe forscht zu Migrationsberichterstattung am Erich-Brost-Institut der TU Dortmund. (Foto: Privat)
Anna-Carina Zappe forscht zu Migrationsberichterstattung am Erich-Brost-Institut der TU Dortmund. (Foto: Privat)

Medienkonsum von Migrantinnen und Migranten

„Der Medienkonsum der gesamten Gruppe der Menschen mit Einwanderungsgeschichte unterscheidet sich zunächst nicht gravierend von dem von Menschen ohne Migrationsgeschichte“, weiß Anna-Carina Zappe vom Erich-Brost-Institut der TU Dortmund. Dort forscht sie am Lehrstuhl für Journalistik zu Migrationsberichterstattung und Medienethik. Das bestätigt auch eine Befragung des WDR unter 20- bis 40-jährigen Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Medien aus den Herkunftsländern würden eher ergänzend konsumiert. „Wir haben in Fokusgruppen mit Menschen mit Migrationsgeschichte herausgefunden, dass ihre Hauptinformationsquellen oft die sozialen Medien, persönliche Kontakt und Fernsehen sind. Hier ist natürlich zu beachten, dass Migrantinnen und Migranten keine homogene Gruppe sind. Sie unterscheiden sich in vielen Faktoren, etwa Alter, Geburtsland, Bildung und Sprachkenntnisse“, betont Zappe.

Stereotypisierung und negative Berichterstattung

Um eine diverse Gruppe anzusprechen, brauche es eine Vielfalt an Perspektiven, was einschließt, dass auch die Menschen selbst zu Wort kommen, meint die Wissenschaftlerin. Noch viel zu oft sei nicht nur die Themenauswahl wenig ansprechend für Menschen mit Einwanderungsgeschichte, auch die Migrationsberichterstattung wird als einseitig wahrgenommen. Das zeigt unter anderem die WDR-Befragung: Junge Nachrichtenkonsumierende zwischen 20 und 40 Jahren nehmen die Berichterstattung oft als stereotypisierend war.

Das der Eindruck nicht trügt, zeigen auch andere Studien, bestätigt Zappe. „Die Berichterstattung über Menschen mit Einwanderungsgeschichte hat oft ein negatives Framing. Das wurde besonders deutlich bei der sogenannten Flüchtlingskrise. Mit dieser Formulierung wurden die Geflüchteten als Problem in den Fokus gerückt, viel eher war es aber eine Krise der Migrationspolitik. Dadurch entsteht ein negatives Framing“, erklärt Zappe. Das sei aber nicht das einzige Problem in der Migrationsberichterstattung. „Oft kommen die Menschen, um die es geht, auch gar nicht selbst zu Wort oder sie werden zu Opfern gemacht. Menschen mit Migrationsgeschichte und Geflüchtete finden in medialer Berichterstattung oft nur in der Opferrolle statt“, erklärt die Wissenschaftlerin weiter.

Migrantischer Alltag fehlt

Was sagen aber Migrantinnen und Migranten selbst dazu, wie sie in Lokalmedien dargestellt werden? „Ich bin im Großen und Ganzen sehr zufrieden mit der Berichterstattung“, erzählt Emin Oezel, Paderborner Geschäftsmann und Vorsitzender der Schura, einer Dachorganisation der Moscheen in Paderborn. Er selbst ist 1971 aus der Türkei nach Deutschland migriert, hat hier studiert und ist gut verankert in der Region. Wenn Veranstaltungen beim Verein anstehen, lädt Oezel die Zeitungen ein, der Umgang miteinander sei sehr respektvoll. Er selbst hat sowohl die Neue Westfälische, als auch das Westfalen-Blatt abonniert. „Ich bin sehr zufrieden mit der Berichterstattung über unsere Feste und Veranstaltungen. Ich würde mir manchmal aber auch etwas mehr Einblicke in den muslimischen Alltag und unsere Probleme in Paderborn wünschen“, antwortet Oezel auf die Frage, wie er die Migrationsberichterstattung der Lokalzeitungen wahrnimmt.

Auch Recep Alpan, Vorsitzender des Integrationsrates in Paderborn erzählt, dass besonders über Veranstaltungen und Feste berichtet wird, weniger aber aus dem migrantischen Alltag. „Aber das ist ja auch normal, Zeitungen berichten nun mal darüber, wenn etwas Besonderes passiert. Extra über Migrantinnen und Migranten zu berichten, nur um mehr über sie zu schreiben, halte ich nicht für sinnvoll“, meint er. Alpan kommt ursprünglich aus der Türkei, ist aber seit 1980 in Deutschland. Auch er liest beide Paderborner Lokalzeitungen und hat in seiner Funktion als Vorsitzender des Integrationsrates regelmäßig mit den Redaktionen zu tun.

(Foto: AdobeStock/svort)
(Foto: AdobeStock/svort)

Generalisierung von Menschen mit Migrationsgeschichte

„In der türkischen Community fühlen sich viele in der Berichterstattung zu Unrecht negativ dargestellt. Es werden oft alle Migrantinnen und Migranten in einen Topf geworfen, egal in welchem Land sie ihre Wurzeln haben, ob sie Geflüchtete sind oder bereits ihr ganzes Leben hier wohnen“, schildert Alpan seine Eindrücke. „Das verletzt besonders Jugendliche und junge Erwachsene, die einen guten Schulabschluss haben und hier integriert sind. Sie fühlen sich durch die generalisierende Berichterstattung in eine falsche Ecke gedrängt.“ Alpan sieht in der Migrationsberichterstattung keinen Unterschied zwischen den Lokalzeitungen und überregionalen Medien.


Anders ist das Bild des Schura-Vorsitzenden Oezel, er hebt die Berichterstattung in Paderborn im Vergleich zu überregionalen Medien positiv hervor. „Es wird in den Medien oft übermäßig negativ über Migranten und Muslime berichtet und sie kommen selten selbst zu Wort. Das nehme ich in Paderborn anders wahr. Hier wird mit, statt über uns gesprochen“, betont Oezel.


Diversität in Redaktionen

Damit wird ein Alleinstellungsmerkmal des Lokaljournalismus deutlich: Die Lokalredaktionen sind oft näher an den Menschen dran, können sie selbst zu Wort kommen lassen und auch die kleinen Geschichten erzählen. Das ist eine Chance für eine differenziertere und ausgewogenere Berichterstattung, auch über Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Oft fehlt es dafür aber nicht nur an Kapazitäten und Ressourcen, sondern auch am richtigen Personal. Denn nicht nur in der Berichterstattung, auch in den Redaktionen sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte unterrepräsentiert. Nur vier bis fünf Prozent der Belegschaft in deutschen Medienhäusern haben einen Migrationshintergrund. Die Zahlen dazu sind jedoch ungenau, die wenigsten Redaktionen erfassen überhaupt, wie divers ihre Belegschaft ist – insbesondere in Lokalredaktionen.

Eine größere Vielfalt in Redaktionen kann allerdings der Einseitigkeit der Themen entgegenwirken: „Diverse Menschen bringen auch diverse Themen mit“, betont Zappe. Mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in den Redaktionen könnte also auch ein breiteres Spektrum an Themen bedeuten und ein vielfältigeres Publikum ansprechen. „Wenn Redaktionen unterschiedliche Zielgruppen ansprechen wollen, dann brauchen sie diese Diversität auch in der eigenen Belegschaft“, plädiert die Wissenschaftlerin.

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