Angriff auf die Pressefreiheit
von Stefan Wirner
Der Fall hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt:Im November 2023 wurde in Thüringen erneut ein Lokaljournalist angegriffen, diesmal am Rande einer AfD-Veranstaltung in Plothen im Saale-Orla-Kreis. Beim Verlassen des Saals wurde Peter Hagen, Redakteur der Ostthüringer Zeitung aus Gera, zunächst beschimpft und dann geschlagen, die Kopfbedeckung wurde ihm abgezogen. Als er kurze Zeit später in sein Auto stieg und losfahren wollte, bemerkte er an allen vier Reifen Manipulationen.
„Die Angriffe auf unsere Journalisten und Journalistinnen verurteilen wir aufs Schärfste“, teilte die Funke Mediengruppe mit, zu der die Ostthüringer Zeitung gehört. „Unsere Reporter werden aktiv an ihrer Arbeit gehindert“, sagte Geschäftsführer Christoph Rüth. „Wir lassen uns nicht einschüchtern und erst recht nicht bedrohen! Wir müssen unsere Freiheit schützen. Dazu gehört auch der Schutz der Pressefreiheit und der Schutz, gesicherte Informationen verbreiten zu können.“
Häufung von Angriffen
Solche Angriffe sind längst keine Einzelfälle mehr. In der Pressemitteilung von Funke heißt es weiter: „Immer wieder sind unsere Reporter Beschimpfungen, Angriffen und unverhohlenen Bedrohungen ausgesetzt.“ So wurde Hagen erst im August vorigen Jahres vom damaligen Bürgermeister von Bad Lobenstein, Thomas Weigelt, angegriffen, ein Fall, der ebenfalls bundesweit für Aufsehen sorgte und zur Suspendierung des Bürgermeisters führte. Im Februar 2023 wurde ein Mantelreporter von Funke bei einer AfD-Veranstaltung in Ronneburg im thüringischen Landkreis Greiz auf offener Bühne bedroht und als „vogelfrei“ erklärt. Kurz darauf wurde derselbe Journalist am Rande einer AfD-Demonstration von einem Demonstranten tätlich attackiert.
Enormer Rückhalt
Peter Hagen beschäftigt nach dem Angriff insbesondere, „wer die bislang unbekannten Täter gewesen sind, ob ich womöglich unter deren Beobachtung stehe und es schlimmstenfalls noch konkrete Planungen gibt, mich oder sogar meine Familie zu schädigen“. Bestärkt haben ihn die vielen Unterstützer-Mails, die ihn insbesondere nach einem Bericht in der ARD-Sendung „Monitor“ erreicht hatten und in denen man ihn darum bat, in der Berichterstattung über Extremisten nicht nachzulassen. „Nicht zuletzt gab es einen überwältigenden Rückhalt in der Funke-Familie“, erzählt Hagen weiter, „mit ganz konkreten Unterstützungsangeboten. Beispielsweise die sofortige Zusage, dass die Kosten für den Sachschaden am Fahrzeug übernommen werden und es psychologische Beratungsmöglichkeiten gibt. Es ist also zu spüren, dass man keineswegs alleine steht.“
Inzwischen sieht er sich auch wieder in der Lage, von solchen Veranstaltungen zu berichten, sagt er. Aber an die Öffentlichkeit richtet er einen Appell: „Wünschenswert wäre es aus meiner Sicht, wenn die Öffentlichkeit etwas mehr ein Gespür dafür bekommen würde, wer tatsächlich frei und unabhängig berichtet und wer eben insbesondere bei AfD-Veranstaltungen eine reine Hofberichterstattung übernimmt.“ Bei den meisten AfD-Anhängern werde man da nicht viel erreichen. „Das sollte uns jedoch nicht davon abhalten, unserer Arbeit professionell nachzugehen“, betont Hagen
Attacken auch von links
Solche Angriffe auf die Pressefreiheit gibt es keineswegs nur im Osten der Republik. Am Morgen des 27. Novembers waren die Mitarbeiter des Göttinger Tageblatts konsterniert, als sie zur Arbeit kamen: Der Eingang des Verlagsgebäudes war großflächig beschmiert. „Faschisten, Bullenschweine kein Forum bieten“ stand da zu lesen und: „Lieber schwarz als braun“. Da die Parolen auf einen politischen Hintergrund schließen ließen, übernahm der Staatsschutz der Polizei Göttingen die Ermittlungen. Was die Täter tatsächlich antreibt, lässt sich aber nicht so leicht nachvollziehen. „Wir haben in den vergangenen Monaten über mehrere Prozesse gegen Neonazis berichtet sowie über ,Reichsbürger‘-Demos und Versuche von ,Reichsbürgern‘, in der Region Fuß zu fassen“, erzählt Frerk Schenker, Chefredakteur des Göttinger Tageblatts. „Mitunter waren das große Recherchen, die sich aber alle im üblichen inhaltlichen Rahmen bewegt haben, in dem wir seit Langem Lokaljournalismus betreiben.“
Es war nicht die erste Schmiererei dieser Art in Göttingen. Bereits einige Monate vorher hatten Unbekannte an eine Hauswand in der Innenstadt ähnliche Parolen gesprüht und sich dabei auf das Göttinger Tageblatt bezogen. „Auch da ging es um den Vorwurf, wir würden Rechten und Polizisten ein Forum geben und sie schützen“, berichtet Schenker. „Anlass und Hintergrund waren auch damals für uns nicht ersichtlich.“
Man sei als Redaktion zwar daran gewöhnt, teils hart kritisiert zu werden, räumt Schenker ein. „Das hier hat aber eine neue Qualität“, betont der Chefredakteur. Die Redaktion will sich dennoch nicht einschüchtern lassen. „Die Reaktion der Kolleginnen und Kollegen war – neben Unverständnis und Ärger – aber vor allem von dem Gefühl ,Jetzt erst recht!‘ geprägt. Klar ist für uns, dass wir selbstverständlich unbeirrt weiter über das berichten werden, was für die Menschen in der Region relevant ist.“
Diesen Mut und diese Hartnäckigkeit bringen die meisten Redaktionen zum Ausdruck, die von vergleichbaren Attacken betroffen sind. Bei der Häufung solcher Vorkommnisse – die Organisation Reporter ohne Grenzen zählte im Jahr 2022 mindestens 103 Angriffe auf Medienschaffende – zeichnet sich das Bild einer systematischen Bedrohung von Journalistinnen und Journalisten ab, die über bestimmte Themen, Demonstrationen oder Veranstaltungen berichten. Eine alarmierende Entwicklung, die unsere gesamte Gesellschaft herausfordert.
Text: Stefan Wirner
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Zu einem Bericht des Göttinger Tageblatts über die Attacke
Zur Pressemitteilung von Funke
Tobias Wolf von der Freien Presse hat der drehscheibe verraten, wie er bei der Demo-Berichterstattung vorgeht. Zum Video
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