Wächterpreis

„Wir haben früh das Vertrauen in die Polizei verloren“

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Am 29. Mai haben der Kölner Stadt-Anzeiger, der Express und die Kölnische Rundschau gemeinsam den Wächterpreis der deutschen Tagespresse erhalten. Ausgezeichnet wurden sie für ihre journalistische Aufarbeitung der Kölner Silvesterereignisse 2015.

„Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“ – so lautete die Überschrift der ersten Pressemeldung der Kölner Polizei am Neujahrsmorgen. Das Gegenteil war der Fall. Der Kölner Stadt-Anzeiger, die Kölnische Rundschau und der Express klärten in der Folge auf, was wirklich geschehen war. Für dieses Nicht-Nachlassen, für die Recherche und das genaue Hinsehen wurden sie jetzt ausgezeichnet. Wir sprachen mit Peter Pauls, damals Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, heute Chefautor, und mit Jens Meifert, Leitender Redakteur der Stadtredaktion Köln der Kölnischen Rundschau, über das damalige Vorgehen ihrer Redaktionen.

Die drehscheibe wollte wissen:
  1. Wie schnell war Ihnen in der Redaktion damals klar, dass an den ersten Angaben der Polizei etwas nicht stimmen konnte und dass eine Recherche gefragt ist?
  2. Welche Reaktionen erhielt die Redaktion damals auf die Berichterstattung?
  3. Was hat sich in Köln seither verändert: in der Stadt selbst, aber auch im Verhältnis Leser-Zeitung?

Peter Pauls, Kölner Stadt-Anzeiger

1. Von einem friedlichen Verlauf der Silvesternacht sprach um 9 Uhr morgens die Kölner Polizei am 1. Januar 2016. Wenige Stunden später um die Mittagszeit war der Kölner Stadt-Anzeiger mit dem ersten Bericht online, der dieser Darstellung widersprach. Von diesem Zeitpunkt an wuchs für uns die Gewissheit, dass die Kölner Polizei kein verlässlicher Partner in dem Bestreben war, buchstäblich Licht in das Dunkel dieser Nacht zu bringen, die weltweit für Aufsehen sorgte. Wir haben recht früh, spätestens vom 4. Januar an (der erste reguläre Arbeitstag) das Vertrauen in die Polizei verloren.

2. Das Echo aus der Leserschaft war von Beginn positiv. Wir wurden in unserer Arbeit ermutigt, positive Briefe, Mails, Anrufe gingen ein. Wir haben versucht, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Nacht zu schildern und auch herauszufinden, wer sich seinerzeit auf der Kölner Domplatte befand. Viele Betroffene erzählten uns ihre Leidensgeschichte, aber auch Polizeibeamte berichteten von Hilflosigkeit und Konflikten mit Vorgesetzten, die die Geschehnisse der Nacht in offiziellen Berichten herunterspielen wollten. Die Leser fühlten sich, um es kurz zu sagen, ernst genommen und gut informiert.

3. Der KStA hat meines Erachtens Legitimität gewonnen, indem er von Anfang an bemüht war, die Herkunft der Menschen nicht zu verschleiern, aus deren Mitte heraus die Übergriffe verübt wurden. Das hat nicht etwa zu einer Woge von Fremdenfeindlichkeit geführt, die im Spätsommer 2015 zu beobachten war. Vielmehr fühlte unsere Kernleserschaft sich zureichend informiert und auch respektiert. Der volks-pädagogische Ansatz, den man auch hinter den einschlägigen Formulierungen des Pressekodex sehen kann, hat in Zeiten des Internets und dem damit verbundenen freien Zugang von Polizeiberichten immer wieder für Ärger und Streit gesorgt. In der Stadt werden Probleme nun, wie indes auch im ganzen Land, klarer benannt. Nach wie vor ist viel Hilfsbereitschaft vorhanden, da unsere Leser sehr wohl zu differenzieren wissen.

Jens Meifert, Kölnische Rundschau

1. Unserem Redaktionsleiter, Stefan Sommer, der am 1. Januar 2016 Dienst hatte, war sofort klar, dass die Pressemitteilung der Polizei nicht der Wahrheit entsprechen konnte. Und zwar aus zweierlei Gründen: Am Neujahrstag hatten sich zum einen betroffene Frauen in der Redaktion gemeldet und von ihren Erlebnissen berichtet. Zum anderen war die Mitteilung widersprüchlich in sich: Dass der Bahnhofsvorplatz zwischenzeitlich geräumt werden musste, „um eine Massenpanik durch Zünden von pyrotechnischer Munition zu verhindern“ war nun alles andere als ein alltäglicher Vorgang. Nachfragen waren also zwingend geboten.
 
2. Es dauerte einige Tage, bis die Dimensionen des Ereignisses in der Stadt (und dann im ganzen Land) deutlich wurden. Dann gab es schnell kein anderes Thema mehr. Neben der Politik meldeten sich Vertreter der Stadtgesellschaft, äußerten Bestürzung und kritisierten die von der Rundschau dargelegten Versäumnisse der Behörden. Viele Leser zeigten sich in Mails und Briefen an die Redaktion entsetzt. Ausländische Medienteams kamen zu Interviews in die Redaktion. Schnell formierte sich aber auch eine Bewegung in der Stadt, die deutlich machte, dass Silvester nicht das wahre Gesicht der Stadt zu sehen war. Köln sei weiterhin eine offene Stadt, in der die Menschen sicher und friedlich zusammen leben können.
 
3. Die Übergriffe an Silvester haben dazu geführt, dass die Stadt neu debattiert hat, was sie zulassen will und was nicht. Rund um den Dom wurde eine Schutzzone definiert, an vielen Plätzen in der City wie am Bahnhof gibt es nun Videoüberwachung und eine bessere Beleuchtung. Der neue Polizeipräsident Jürgen Mathies hat ein striktes Präsenzkonzept in der Innenstadt vorangetrieben und sich immer wieder für die Einhaltung klarer Regeln stark gemacht. Die Leser haben wie bei keinem anderen Thema ihre Positionen eingebracht und der Redaktion ein sehr direktes Feedback gegeben. Vor allem aber waren die Reaktionen der betroffenen Frauen eine Grundlage für die Recherche rund um die Silvesterübergriffe.

Mehr dazu:

Screenshot Anstageslicht.de
Wächterpreis

Anstageslicht.de

Mehr zum Wächterpreis und der ausgezeichneten Berichterstattung lesen Sie auf Anstageslicht.de

 

Screenshot von Express.de
Aktueller Text

Express.de

Lesen Sie in der Online-Ausgabe des Kölner Express einen aktuellen Text zur Berichterstattung.

 

Screenshot des Kölner Stadt-Anzeigers

Lesen Sie hier die Chronik des Kölner Stadt-Anzeigers zu den Berichten über die Silvester-Ereignisse 2015 im Storytelling-Format.

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