Nachgefragt

Autorisierung - ja oder nein?

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Die New York Times hat beschlossen, Zitate von Politikern und anderen Gesprächspartnern nicht mehr autorisieren zu lassen. Sie will damit der Praxis entgegenwirken, dass Interviews immer mehr wie Pressemitteilungen wirken. Dieses Thema interessiert die drehscheibe. Wir führten dazu eine Kurzumfrage unter Kolleginnen und Kollegen aus dem Lokalen durch.

Wir fragten:

  1. Was halten Sie von dem Beschluss?
  2. Waren Sie in Ihrer Arbeit bereits mit dem Problem konfrontiert?
  3. Wäre eine ähnliche Entscheidung auch bei Ihrer Zeitung denkbar?

Hier die Antworten, die uns erreichten.

Unsitte der Autorisierung

1. Eine Autorisierung, um offenkundige Fehler zu vermeiden, halte ich für legitim. Die Unsitte der flächendeckenden Autorisierung ist eine deutsche Eigenart, die wir eindämmen sollten. Kluge Politiker verzichten übrigens bewusst darauf - das ist nämlich im Falle eines Shitstorms für sie ein bequemer Notausgang. Zumal, wenn es international zitierte Politiker sind, die dann am Ende auch noch auf die Übersetzungen aufpassen lassen müssten.


2. Problematisch ist es oft bei Wirtschaftskapitänen, die Angst vor ihren Anteilseignern haben oder taktische Rücksicht gegenüber der Börse üben müssen. Ein starker Politiker hält sich starke Medienleute, die ein gehaltenes Interview nicht in grauen Politsprech abschwächen.


3. Natürlich: Man kann das Interview ja schlicht zurückziehen, wenn der Inhalt unzulässig verbogen werden soll. Da kehrt dann bei den PR-Strategen sehr schnell Einsicht ein, und ein Politiker, der dermaßen herumzickt, wird halt nicht mehr eingeladen.

 




Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur der Westfalenpost

Im Lokalen selten ein Problem

1. Wenn die bisherige Autorisierungs-Praxis für die New York Times ein Problem war, ist es gut, wenn sie es ändern.

2. Im Lokalen ist das selten ein Problem. Allerdings erinnere ich mich an ein Mantel-Interview mit einem Kanzlerkandidaten (aus einem Freistaat…) in der heißen Wahlkampfphase, bei dem ich anschließend heilfroh war, dass es durch die Autorisierung musste. Das gesprochene und aufgeschriebene Wort war so durcheinander, dass wir es sonst nicht hätten drucken können. Die Autorisierung kann also auch helfen.

3. Denkbar. Ich sehe bei uns allerdings keinen akuten Handlungsbedarf.

Philipp Ostrop, 
Leiter der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten

Autorisierung schützt auch den Fragesteller

1. Nichts. Ich kann auch aus eigener Erfahrung gut verstehen, dass Interviewpartner ihre wörtlichen Zitate noch einmal überprüfen möchten. Immerhin müssen sie damit in der Öffentlichkeit gerade stehen. Und in der Regel veröffentlichen wir keine Gesprächsprotokolle, sondern wir kürzen, und das ist subjektiv und wird dem Gesprächspartner womöglich nicht gerecht. Andersherum schützt die Autorisierung auch den Fragesteller vor der Behauptung des Interviewten: „Das habe ich so nie gesagt.“

2. Ja, in einem Interview mit einem bayerischen Ministerpräsidenten pfuschten neun Leute bei der Autorisierung herum und veränderten sogar meine Fragen, damit sie besser passen. Ich habe die Seite daraufhin kurzfristig rausgeschmissen und dem Politiker geschrieben, dass ich sauer bin und nie wieder ein Interview mit ihm machen werde. Kurz darauf wurde das Interview erneut autorisiert – fast unverändert zu meinem Entwurf.

3. Nein, dagegen lehne ich aber Autorisierungen von Zitaten in einem Fließtext ab, auch wenn sie immer öfter gefordert werden und zum Beispiel in der Schweiz schon lange Usus sind.

Joachim Braun, Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers

Begrüßenswert

1. Ich begrüße den Beschluss der Kollegen. Auch Straßenumfragen sind letztlich Interviews und die erscheinen  in der Regel ohne Autorisierung durch die Befragten. Zweitens: Bei Live-Interviews im Fernsehen oder auf digitalen Kanälen gibt es in der Regel auch keine Autorisierung. Deshalb fordere ich für die schreibenden Kollegen „Waffengleichheit“.

2. Ich kenne das Problem. Wir lösen es so, dass wir, wenn nachträglich Aussagen gestrichen oder verändert werden, den Interviewpartner (oft genug ist es der Pressesprecher)  darauf hinweisen, auf den Abdruck des Interviews zu verzichten. Ist ärgerlich, aber durchaus schon einige Male geschehen. Es wandert dann (leider) in den Papierkorb.

3. Ja, ich überlege, den Kollegen zu folgen und Rücksprachen nur darauf zu beschränken, dass man sich Zahlen, Daten, einzelne Fakten noch einmal bestätigen lässt, sofern man dies selbst für notwendig hält.

Andreas Rietschel, Chefredakteur der Goslarschen Zeitung

Grundsätzlich autorisiert

1. Es ist Sache der New York Times.

2. Natürlich. Wortlaut-Interviews werden bei uns grundsätzlich vom Gesprächspartner autorisiert. Bei Zitaten verlassen wir uns auf unsere Aufzeichnungen. Hin und wieder schicken wir den Gesprächspartnern aber auch Zitate zur Info zu. „Merkel soll zurücktreten“ hätte ich schon als Zitat bestätigt....

3. Ergibt sich aus 1 und 2

Dr. Berthold Hamelmann, Chefredaktion Neue Osnabrücker Zeitung

Im Lokalen nicht so extrem

1. Was Interviews mit Konzernchefs oder Regierungspolitikern betrifft, kann ich die Entscheidung der New York Times wohl nachvollziehen und halte eine Diskussion darüber in den deutschen Politik- oder Wirtschaftsredaktionen durchaus für notwendig. Im Lokalen freilich sieht die Lage nicht so extrem aus. Hier haben wir es in der Regel mit Pressereferenten zu tun. Man kennt sich und weiß, das man sich schnell wiedertrifft. Gegenseitige Fairness, das Gesagte nicht zu entstellen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Im Übrigen: Bei fast jedem guten Interview sind die Fragen für die Leser meist ohnehin interessanter als die Antworten. Und bei den Fragen lassen wir uns noch nicht mal ein Komma verändern!

2. Ja. Bei glattgebügelten Entstellungen des real Gesagten haben wir dann versucht, um die Zitate zu „kämpfen“. Gab es kein Entgegenkommen, haben wir das Interview einfach nicht gedruckt. Basta! Diese Freiheit kann uns schließlich keiner nehmen. Aber das passiert wirklich relativ selten, vielleicht in einem von 20 Fällen. Und Zitate, die wir für eine recherchierte Story benutzen, würden wir niemals zur Autorisierung freigeben. Da hört der Spaß auf. Wir haben schließlich unser Handwerk gelernt. Der Klempner fragt mich doch auch nicht, ob er seine Rohrzange benutzen darf.

3. Denkbar sicherlich. Vor allem dann, wenn die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stünde. Aber davon sind wir – insbesondere im Lokalen – noch weit entfernt. Aber ich denke schon, dass Zeitungen gut daran täten, eine Diskussion um das Thema Autorisierungen selbstbewusster zu führen. Wenn professionelle PR-Berater und Pressesprecher den Inhalt glattbügeln und entstellen, sollten Redakteure noch häufiger als bisher dazu übergehen, das Interview in den Papierkorb zu werfen anstatt die Leser damit zu langweilen.

Peter Voith, Redaktionsleiter Regionales/Norddeutschland
 beim Weser-Kurier

Wiederholt Interviews nicht abgedruckt

1. Es ist richtig und notwendig, mit Politikern wieder auf eine Augenhöhe zu kommen, die Wortlaut-Interviews zunehmend dazu missbrauchen wollen, umfassend kostenlose Werbung zu betreiben. Ich bin gespannt, ob sich die NYT mit ihrem Beschluss durchsetzen kann. Andererseits: Wer sollte es durchsetzen, wenn nicht sie?

2. Ich habe schon wiederholt Interviews nicht abgedruckt, nachdem Interviewpartner oder deren Pressesprecher versucht haben, die Texte im Zuge der Autorisierung komplett umzuschreiben und jeden kritischen Ansatz herauszunehmen – bis in die Struktur der Fragestellungen hinein. Namentlich betroffen waren der damalige Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine und der frühere Bundesumweltminister und heutige SPD-Chef, Sigmar Gabriel.

3. Ich glaube nicht, dass eine einzelne Regionalzeitung hier etwas ausrichten kann. Sie würde dann vermutlich von den sogenannten Spitzenpolitikern geschnitten. Notwendig wäre vielmehr eine konzertierte Aktion, an der sich allerdings auch große überregionale Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenmagazine und -agenturen beteiligen sollten. Ehrlich gesagt: Ich bin pessimistisch, dass das gelingen kann.

Alexander Marinos
, Stellvertretender Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger

Autorisierung nicht üblich

1. Ein Freund der Autorisierung bin ich nie gewesen und habe es als Selbstkastrierung der zumeist jungen Kollegen verstanden, wenn diese die Autorisierung als sinnvoll oder sogar normal praktizieren wollen. Die Autorisierung verändert die Beziehung zwischen Interviewpartner und Journalist nachhaltig: Aus Partnern auf Augenhöhe wird das Gespann „Koch und Kellner“, wenn nicht sogar “Herr und Knecht“. Die New York Times stellt die Freiheit der Presse wieder her, hoffentlich hat sie Erfolg.

2. Bei einem Interview im Volkswagenwerk zur Serie über das Elektroauto wurde zwingend autorisiert. Ich habe mich davon jedoch nicht eingeschränkt gefühlt, weil es fast ausschließlich um technische Details ging und um kaufmännische Daten zur Markteinführung. Der Geist des Interviews blieb unverändert. Kollegen legen unserer Industrie Interviews bisweilen vor, wenn es um technische Detailfragen im Inhalt geht. Auch das sind Änderungen an Feinheiten. Politiker- und Funktionsträgerinterviews werden grundsätzlich nicht autorisiert.

3. Ich vermittele in der Redaktion, dass wir es als Profis nicht nötig haben, uns zensieren zu lassen. Ganz wenige Ausnahmen (siehe Frage 2) bestätigen die Regel. Deshalb bedarf es bei uns keines Beschlusses wie in der New York Times. Wenn Gesprächspartner den Beitrag vor Drucklegung einsehen wollen, wird ihnen erklärt, dass ein solches Ansinnen nicht üblich ist. Das wird fast durchgehend akzeptiert und ist überdies auch in der Stadt bekannt.

Stefan Aschauer-Hundt, Redakteur des Süderländer Tageblatts

Qualität eines Interviews liegt anderswo

Es ist in der Regel eine Frage des Respekts und eine Frage der Qualität. Wenn ich meinem Gast anbiete, er könne Interview oder Zitat gegenlesen, dann sind die Chancen größer als das Risiko. Ich schenke meinem Gast Vertrauen und hoffe auf sein Vertrauen. Er erzählt mehr als einer, der um jeden Satz fürchten muss; er vergisst in vielen Fällen das Diktiergerät und ignoriert meinen Block.

Die Qualität eines Interviews liegt nicht in der Enthüllung und dem Jubelschrei: Ich habe ihn überführt! Die Qualität eines Interviews liegt in der schönen Formulierung, in der feinen Entwicklung eines roten Fadens, in der Erklärung einer komplizierten Sache, in der Zeichnung einer Persönlichkeit, im zugespitzten Disput (wobei ein cleverer Gast scharfe, aber respektvolle Fragen schätzt, weil sie ihm die Chance zu einer klaren, aber auch scharfen Replik öffnet) (...)

Ein weiterer Grund, ein Interview oder Zitat autorisieren zu lassen: Ich stelle sicher, dass es stimmt – gerade nach Gesprächen mit Wissenschaftlern oder Spezialisten, die Kompliziertes zu erklären haben. Der Redakteur liegt schnell daneben, wenn er verständlich sein will, wenn er Schweres einfach macht. Sicher werden Gespräche mit Wissenschaftlern oder Chefärzten nicht leicht, wenn sie ihre Fachausdrücke retten wollen und ihren guten Ruf bei den Kollegen; aber auch da gilt: Kämpfen für den Leser, der ein Recht hat, alles zu verstehen.

In den meisten Regionalzeitungen, erst recht in Lokalredaktionen sind die Fragen nach der Autorisierung eh recht theoretisch: Es gibt nur wenige Interviews und darunter noch zu viele banale – weil die Redakteure den Aufwand scheuen, ihnen die Routine fehlt und ein Training. Wenn sie im Lokalen ein Interview führen, dann oft ein kurzes zur Sache: Wie sind die neuen Öffnungszeiten im Zoo? Wann öffnet das Bürgerbüro auch am Abend? Wie werden die Anliegerbeiträge berechnet? Meist sind die Antworten so hölzern, dass ein Bericht spannender zu lesen wäre als ein Interview. Zudem entstehen zu viele Interviews am Telefon oder sogar per Email. Beim schriftlichen Interview lade ich den Gast förmlich zum PR-Jargon ein; in der Tat werden viele Antworten in den Presseabteilungen geschrieben und vom Minister oder Bürgermeister noch nicht einmal vor dem Abschicken geprüft.

Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen (Auszug aus dem Blogeintrag auf http://www.journalismus-handbuch.de/)

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