So war das Jahr
von drehscheibe-Redaktion
Redakteurinnen, die mit dem Jenseits sprechen, Volontäre, die auf Türme klettern, und Reporter, die für die Recherche alles wagen: Die drehscheibe-Redaktion stellt jeden Monat so viele gute Umsetzungen vor, da fällt es schwer, sich gänzlich festzulegen, welche denn nun die beste war. Das Team der drehscheibe stellt seine Favoriten vor.
Ein Expertenteam in Lindau
Rückblick von Katharina Dodel
Ähnlich wie mein Kollege Stefan Wirner (siehe unten) muss auch ich zugeben, dass ich als gebürtige Allgäuerin bei meiner Wahl der liebsten Umsetzung womöglich etwas befangen war: Mir gefällt ein Beitrag, der Ihnen allen noch im Gedächtnis sein dürfte. Er ist nämlich gerade erst in der drehscheibe erschienen. In unserer Ausgabe 14/23 stellt Julia Baumann ein arbeitsintensives und spannendes Projekt zum Thema Wohnen in Lindau vor. Die Redaktionsleiterin der Lindauer Zeitung brachte gemeinsam mit ihren drei Kolleginnen Erstaunliches auf die Beine: Die kleine Redaktion recherchierte Zahlen zum Wohnungsmarkt, die zuvor noch niemand erhoben hatte, fasste sie zu einem informativen Dossier zusammen, machte eine Multimedia-
Reportage, drehte Videos, nahm einen Podcast auf und organisierte im Rahmen des Bürgerentscheides im September 2022 eine Podiumsdiskussion. Baumann selbst sagt dazu: „Die ganze Redaktion ist dadurch automatisch zu einem Expertenteam für das Thema Wohnen geworden. Dadurch hatten alle Beiträge eine sehr hohe Qualität. Und das haben die Leserinnen und Leser gemerkt.“ So macht Lokaljournalismus Spaß!
Nachrufe mit Tradition
Rückblick von Max Wiegand
Tod, Trauer und Sterben: Das sind Themen, die viele Menschen am liebsten weitmöglichst umschiffen, solange sie nicht selbst unmittelbar davon betroffen sind. Auch mir selbst fällt es schwer, mich damit auseinanderzusetzen. Umso beeindruckender finde ich die Nachrufseite des Tagesspiegels (Berlin). Mit großer Hingabe und Sorgfalt erzählen die Autorinnen und Autoren die Lebensgeschichten verstorbener Berlinerinnen und Berliner. Ganz bewusst geht es dabei nicht etwa um Prominente, sondern um ganz gewöhnliche Menschen. „Man kann über jeden Menschen eine gute Geschichte erzählen“, meint Redakteur David Ensikat, der die Seite betreut. Um den Verstorbenen gerecht zu werden, sprechen Ensikat & Co. oft mehrere Stunden mit deren Angehörigen. So entstehen sehr einfühlsame Porträts, die nicht nur mich sehr berührt haben. Denn die Nachrufseite gibt es seit rund 20 Jahren und sie ist „für einige unserer Leser die beste Seite der Zeitung“, wie Ensikat mir mitteilte.
Erinnerungskultur im Lokalen
Rückblick von Nina Sabo
Noch nie habe ich die Gesellschaft so gespalten wahrgenommen wie jetzt: Wir erleben einen Rechtsruck, werden Zeuginnen und Zeugen von Antisemitismus, von Islamfeindlichkeit, von Extremismus und aggressiven Anfeindungen, analog wie digital. Mir führt die aktuelle Lage ganz deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, über (Un-)Menschlichkeit zu sprechen und nicht zu vergessen, was sich im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg zugetragen hat und niemals wiederholen darf.
Auch Lokalredaktionen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die unsagbaren Verbrechen des Nationalsozialismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Besonders bewegt hat mich eine Umsetzung von Andreas Tiemann, die im Westfälischen Anzeiger erschienen ist. Tiemann erzählt in einer sehr persönlichen Reportage die Geschichte seines Großvaters, der als Eisenbahner während des Zweiten Weltkriegs von Hamm ins polnische Małkinia versetzt wurde. Ohne zu wissen, was ihn dort erwarten würde, wurde er an einem Rangierbahnhof in der Nähe des Vernichtungslagers Treblinka beschäftigt. Über die grausamen Verbrechen, mit denen sein Großvater dort konfrontiert war, berichtet Tiemann in seiner Umsetzung, die zum 9. November, dem Gedenktag an die Novemberpogrome des NS-Regimes im Jahr 1938, erschien.
Der Wochenkommentar
Rückblick von Stefan Wirner
Vielleicht liegt es ja daran, dass ich selbst aus Bayern komme. Aber mich hat der Podcast von Frank Werner von den Oberpfalz Medien aus Weiden beeindruckt: „Werners Woche“. Einmal in der Woche kommentiert der Politikredakteur die Themen aus der Region oder Weltpolitik aus lokaler Sicht. Und das aus dem Bauch heraus, in lockerem, satirischem Ton. Am Mittwochabend denkt Werner kurz über etwa fünf passende Themen nach. Am Donnerstag nehmen er und sein Kollege Christian Gold das Gespräch auf. Nur kurz verständigen sie sich vor der Sendung über die Themen, denn Spontanität ist ihnen wichtig. Gold setzt es technisch um, am Freitag geht es auf verschiedenen Kanälen online. „Meistens gelingt es uns, einen One-Take zu machen, also ohne Schnitt aufzunehmen“, sagt Werner. „Wir sprechen damit ein Publikum an, das ein Faible für Nachrichten hat und sich über die Kommentierung amüsiert.“ So kann das Lokale sein: informativ, aktuell und amüsant. Was will man mehr?
Was kommt
Und was wartet 2024 aufs Lokale? Na, wenn wir das vorhersagen könnten... Aber einen kleinen Ausblick auf anstehende Ereignisse im bpb-Jahr können wir geben. Hier die Termine für Themenwochen und Seminare:
- 10. bis 12. April: 26. Forum Lokaljournalismus. In Kooperation mit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und dem Donaukurier, Ingolstadt
- 06. bis 10. Mai: drehscheibe-Themenwoche: Gründung der Bundesrepublik
- 27. bis 31. Mai: drehscheibe-Themenwoche: Sport
- 28. bis 30. Juni: Workshop „Für mehr Resilienz im Journalismus“. In Kooperation mit VOCER Local Innovation News Academy (LINA), Mustin
- 12. bis 16. August: drehscheibe-Themenwoche: Migration
- 07. bis 11. Oktober: drehscheibe-Themenwoche: Stadt und Land
- 21. bis 23. Oktober: Redaktionskonferenz „Kommunalpolitik: neue Ansätze für die Berichterstattung im Lokalen“, Speyer
- 10. bis 13. Dezember: Redaktionskonferenz „Social Media und KI in den Lokalredaktionen“. In Kooperation mit dem Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e. V. (ifp), München
Save the dates!
Und nun bleibt uns nur noch eines:
Das gesamte drehscheibe-Team wünscht Ihnen einen angenehmen Jahresendspurt und einen guten Start in ein nachrichtenreiches Jahr 2024.
Bleiben Sie lokal!
Veröffentlicht am
Kommentare
Einen Kommentar schreiben