Grenzgänger im Lokalen
von Stefan Wirner
Im Osten des Kreis Lüneburg liegt die Gemeinde Amt Neuhaus, die einzige im Landkreis, die östlich der Elbe liegt. 1945 wurde sie unter sowjetischer Besatzung dem Bezirk Hagenow eingegliedert, nach der Wende 1990 aber wünschten sich die Bewohner die Rückkehr nach Niedersachsen. Wie verlief diese Rückgliederung, und wie denken die Bewohner heute darüber? Das wollte die Landeszeitung für die Lüneburger Heide herausfinden. Ein Team machte sich auf den Weg über die Elbe. Heraus kam die multimediale Reportage „Seitenwechsel“ und eine vierteilige Serie in Print.
Die Geschichte
„Wir fanden das Thema einfach wahnsinnig spannend“, erzählt Redakteurin Anna Sprockhoff. „Wir machen ja immer wieder Geschichten über das Grenzgebiet, es bietet viele historische Stoffe.“ Außerdem habe man häufiger erlebt, dass viele Bewohner von Neuhaus nicht richtig angekommen seien in Niedersachsen. „Das hat ganz praktische Gründe, es gibt ja zum Beispiel noch immer keine Brücke über die Elbe, einzige Verbindung ist die Fähre“, sagt Sprockhoff, „Es geht aber auch ein Riss durch die Gemeinde. Auf die Frage, wo eigentlich Heimat sei, gibt es viele verschiedene Antworten. Das hat uns interessiert.“
Die Multimedia-Reportage
Es hat sich angeboten, das Thema in einer Pageflow-Reportage zu behandeln, da durch die schöne Landschaft im Amt Neuhaus tolle Aufnahmen zu erwarten waren. Durch den Vollbild-Modus funktioniere Pageflow sehr bildlich, wie Multimedia-Koordinatorin Katja Grundmann sagt. „Das Amt Neuhaus ist zu 100 Prozent Biosphärenreservat, auch das ist Teil dieser Geschichte“, betont sie.
Die Umsetzung
Grundmann und Sprockhoff setzten sich dann zusammen, um ein Konzept für die Geschichte auszuarbeiten. Schnell sei klar gewesen, dass man einen Protagonisten benötigte, der sich damals für die Rückgliederung engagiert hatte. „Den hatten wir mit Hans Ebeling schnell gefunden“, sagt Sprockhoff. „Er engagierte sich seinerzeit als Bürger und Kommunalpolitik für die Rückkehr von Neuhaus nach Niedersachsen.“ Auch die Bürgermeisterin habe sich gleich bereit erklärt, mit der Redaktion zu sprechen. „Schwieriger war es, einen Kritiker oder eine Kritikerin der Rückgliederung zu finden. Viele wollten nicht offen darüber sprechen, dass ihr Herz weiterhin mehr für den Osten als den Westen schlägt. Und in der Region gibt es auch Berührungsängste, was die Medien betrifft“, erzählt Sprockhoff. Also habe man sich umgehört, viel rumgefragt, manches klappte nicht. Über ein Dutzend Mal fuhren Sprockhoff und Grundmann, meist zusammen mit einem Fotografen, nach Neuhaus. „Wir luden die Leute auch zu einer Gesprächsrunde ein, das wurde relativ gut angenommen“, sagt Sprockhoff. Am Ende habe man über die Wirtin des Gasthauses einen Tipp erhalten. „Der Unternehmer Thorsten Knebusch erzählte uns dann, dass er in der Rückgliederung für seine Firma keine Vorteile gesehen hat“, sagt Grundmann.
Technische Umsetzung
Die Landeszeitung verfügt über einen gehosteten Pageflow-Account, über den schon mehrere Geschichten verwirklicht wurden. Grundmann war also mit dem Programm und seinen Visualisierungsmöglichkeiten vertraut. „Pageflow funktioniert nach dem Prinzip des Scrollytellings, man kann die Geschichte Schritt für Schritt durchgehen oder über Verweise zu einzelnen Stationen springen“, sagt Grundmann. „Das war eine kleine Herausforderung, weil wir den Schwerpunkt auf die Gegenwart legen wollten, gleichzeitig aber auch die Historie erzählen mussten.“ Insgesamt habe man einen hohen Anteil an Fotos und Videos. Die Filme hat Grundmann selbst aufgenommen und geschnitten. Kartenelemente steuerte Klaus Bohlmann aus der Online-Redaktion bei. „Wichtig ist, dass man den Nutzerblick beachtet. Ist die Struktur der Geschichte von außen verständlich? Man muss den Nutzer an die Hand nehmen“, betont Grundmann.
Aufwand
„Es war schon einiges an Arbeit“, sagt Sprockhoff. „Der Redaktionsalltag ging ja weiter, auch wenn es Freiräume gab, das Projekt zu verwirklichen.“ Alleine die zahlreichen Fahrten nach Neuhaus seien aufwendig gewesen. Klaus Bohlmann aus der Online-Abteilung habe viel zur Verwirklichung des Projekts beigetragen, auch LZ-Archivarin Heidi Staack sei eine große Hilfe gewesen. So habe man über einen älteren Zeitungsartikel erfahren, dass der NDR damals über Amt Neuhaus berichtet habe. „Wir haben dort angefragt, und die Kollegin war sehr kooperativ und hat uns das Filmmaterial zur Verfügung gestellt“, sagt Sprockhoff. „Irgendwann hatten wir sehr vieles gesammelt, sehr viel Rohmaterial beisammen“, sagt Grundmann. „In den letzten vier Wochen vor der Veröffentlichung habe ich fast ausschließlich an der Pageflow-Reportage gearbeitet.“
Reaktionen
Mit dem Start der vierteiligen Printserie wurde kurz vor dem Jubiläum der Rückgliederung Ende Juni auch die Multimedia-Reportage veröffentlicht. Beworben wurde sie mit einem eigens angefertigten Trailer, der auf allen Kanälen (Facebook etc.) lief. Die Reaktionen aus Neuhaus selbst seien gut gewesen. „Wir haben auch noch vor, die Multimedia-Reportage dort öffentlich zu zeigen“, erzählt Sprockhoff. Auf dem Festakt zum Jubiläum der Rückgliederung war die Landeszeitung dann mit einer Sonderausgabe vertreten, die den zweiten Teil der Printserie enthielt. Die Multimedia-Reportage verzeichnete in der ersten Woche nach Erscheinen knapp 10.000 Aufrufe.
Worauf achten?
„Man muss bei so einer Geschichte einen langen Atem haben“, sagt Sprockhoff. „Und man braucht ein schlüssiges Konzept. Einfach loslaufen klappt nicht.“ Grundmann ergänzt: „Man muss sich genau überlegen, bei welchem Thema welches Medium den Sachverhalt am besten transportiert.“ Außerdem brauche man „tolle Kollegen“, finden beide.
Für eine crossmediale Themenwoche, in der gezeigt wurde, mit welchen besonderen Herausforderungen Flüchtlingskinder aufwachsen, wurden Anna Sprockhoff und Katja Grundmann unter anderem mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis (Jahrgang 2016) ausgezeichnet. Hier sehen Sie ein Interview mit den beiden.
Veröffentlicht am
Kommentare
Einen Kommentar schreiben