Online-Symposium

Halten Sie die Stellung!

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Die „ewige Nummer 2“ will niemand sein. (Foto: AdobeStock/bestforlater91)
Die „ewige Nummer 2“ will niemand sein. (Foto: AdobeStock/bestforlater91)

Sepp Maier, der legendäre Tormann des FC Bayern München aus den Siebzigerjahren, die unumstrittene Nummer eins der damaligen Nationelf, sagte einmal über den Ersatzmann hinter ihm, über den Torwart Walter Junghans: „Der Junghans wird bei mir zum Althans.“ Und so kam es auch, Sepp Maier ließ lange Zeit alle seine Stellvertreter hinter sich verkauern.

Der „Althans“, der „ewige Zweite“ – wer will das schon sein? Der Mann oder die Frau hinter dem Chefredakteur, die nur wirklich etwas zu sagen haben, wenn der Boss im Urlaub ist. Die „lame duck“, die Vorgaben machen und Entwicklungen beeinflussen kann, aber eben nur manchmal. Diese und ähnliche Klischees kursieren über die Rolle des Stellvertreters, der Stellvertreterin (im Folgenden einfach: Stellvertreter). Doch sind sie überhaupt noch zeitgemäß, bilden sie noch die Realität ab? Mit diesem Thema befasste sich am 29. September das Stellvertreter-Symposium von WAZ (Funke Medien) und der Bundeszentrale für politische Bildung.

Klagemauer der Redaktion

„Es ist ein Thema, über das zu wenig gesprochen wird“, sagte der Coach und Medientrainer Christian Sauer, der die Online-Veranstaltung moderierte. Er skizzierte zum Einstieg die Probleme, mit denen sich Stellvertreter in den Verlagen auseinanderzusetzen hätten. Sie hätten zwar „viel Einfluss, aber wenig Macht“, sie müssten „Teamarbeit leisten, aber ihr Profil schärfen“, und sie seien so etwas wie die „Klagemauer der Redaktion“. Die rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter auch viele alte Bekannte der drehscheibe, wie etwa Jana Klameth, stellvertretende Chefredakteurin der Freien Presse, oder Holger Knöferl, stellvertretender Chefredakteur der Badischen Zeitung, waren gespannt, was sie über ihre Rolle Neues erfahren würden.

Dr. Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ.
Dr. Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ.

Die Studie

Den Hauptvortrag der Veranstaltung hielt Dr. Alexander Marinos, selbst stellvertretender Chefredakteur der WAZ in Essen, der kürzlich das Buch „Der ideale Stellvertreter“ bei Springer VS herausgebracht hat. Dem Band liegt eine empirische Erhebung zugrunde. Im Mittelpunkt stand dabei „die Frage, ob und in welchem Maße es ideale Stellvertretung gibt, exemplarisch überprüft anhand der Chef-Stellvertreter-Beziehungen in den Redaktionsleitungen regionaler Verlage in Deutschland“. Hierfür hatte Marinos Fragebögen an stellvertretende Chefredakteure bzw. Redaktionsleiter verschickt und mehr als 100 Rückantworten ausgewertet. Marinos führte aus, wie unterschiedlich die Rolle des Stellvertreters sein kann: Sie reicht vom „Titelträger ohne Befugnis“ bis zur „grauen Eminenz“, der egal sei, wer unter ihr der Chef sei.

Quelle: Alexander Marinos
Quelle: Alexander Marinos

Marinos präsentierte unter anderem auch eine Flop-Liste, Probleme, mit denen sich Stellvertreter auseinanderzusetzen hätten.

Quelle: Alexander Marinos
Quelle: Alexander Marinos

Das Hansi-Flick-Syndrom

Die Leistung des Stellvertreters werde „manchmal nicht so gesehen“, führte Marinos aus. Als Beispiel hierfür diente ihm Hansi Flick. Der gegenwärtige Trainer des FC Bayerns stand als Co-Trainer lange Jahre im Schatten von Nationaltrainer Jogi Löw, bis er im vergangenen Jahr zunächst eine Interimslösung beim FC Bayern wurde. In der neuen Rolle errang er in kürzester Zeit große große Erfolge und gewann die Meisterschaft, den Pokal und die Champions League – das lang ersehnte Triple. Wie Flick würden Stellvertreter häufig unterschätzt, sagte Marinos. Sie wirkten austauschbar, obwohl sie eine wichtige Position besetzen, die aber jederzeit umbesetzt werden könne.

Marinos fasste die Ergebnisse seiner Studie zusammen, unter anderem sagte er:

  • Es existieren selten schriftliche fixierte Geschäftsverteilungspläne in den Redaktionen, welche die Aufgabenfelder von Chef und Vertreter eindeutig regelten
  • Zu selten dürfen Stellvertreter Budget- und Personalentscheidungen reffen
  • Nur jeder dritte Stellvertreter sieht sich als Co-Chef

Diese Ergebnisse würden auf Defizite hinweisen, mit denen sich insbesondere die Chefs und die Verlage befassen müssten, meinte Marinos. „Halten Sie die Stellung!“: Diese Aussage markiere das Gegenteil von dem, was heute eine moderne Stellvertretung ausmache, sagte er und betonte im Übrigen, dass er selbst mit seiner Rolle als Stellvertreter bei der WAZ keine Probleme habe und hervorragend mit seinem Chef Andreas Tyrock zusammenarbeite.

Das Podium

Vertieft wurden die Erkenntnisse dann in einer Podiumsdiskussion, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Schlaglicht darauf warfen, wie diversifiziert die Stellvertreterrolle sein kann.

Dabei war neben Alexander Marinos Anne Krum, stellvertretende Chefredakteurin von WAZ und Westfalenpost und Mitglied des Chefredakteursboards der Funke-Tageszeitungen. Zuständig ist sie insbesondere für die digitale Weiterentwicklung der Produkte. Sie habe es „immer genossen, Teil eines Teams zu sein“, sagte sie. Es gehe darum „verschiedene Sichtweisen einzubringen und sich im Team zu ergänzen“.

Etwas anders gelagert wohl die Rolle von Lutz Feierabend, seit 2003 stellvertretender Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, sozusagen ein alter Hase im Stellvertreter-Business. Er zeigte sich überzeugt: „Der ideale Stellvertreter ist immer komplementär.“

Außerdem dabei: Karsten Frerichs, Chefredakteur des Evangelischen Pressedienstes (epd). Beim epd herrsche eine „starke Geschäftsverteilung“, das Ganze funktioniere „arbeitsteilig im Team eines Chefredakteurs“. Zum Thema „Fehlerkultur“ sagte er, Stellvertretern würden Fehler schneller oder häufiger verziehen, das wiederum „schult fürs spätere Chef-Sein“.

Die jungen Digitalen sind da

Viel drehte sich in der Diskussion um die veränderte Zusammensetzung von Chefredaktionen. Klar sei, dass heute mehr Frauen vertreten seien und mehr junge Leute, die die Aufgabe hätten, den digitalen Wandel zu befördern. „Die jungen Digitalen verändern das Machtgefüge am meisten“, sagte Marinos. „Sie bringen eine andere Kultur rein und wollen Spaß an der Arbeit haben.“ Mit diesen Wissensarbeitern könne man nicht so umspringen, wie es früher vielleicht üblich gewesen sei. „Die digitale Transformation funktioniert nur, wenn sich auch die Strukturen transformieren, und dabei stehen Chefredaktionen ganz oben“, sagte Marinos.

Feierabend konstatierte ebenfalls „veränderte Hierarchien“: „Es gibt in Verlagen heute eine Vielzahl an differenzierten Produkten und von daher eine Vielzahl an Führungspositionen“, betonte er. Für ihn sind Chefredaktionen so etwas wie „Gesamtkunstwerke“: „Die Kunst der Verlagsleitung besteht darin, die Zusammenstellung ernstzunehmen.“

Stellvertreter in Zeiten der Pandemie

Auch das Thema Corona wurde aufgegriffen. „Corona ist ein Beschleuniger“, meinte Feierabend. Beim Kölner Stadt-Anzeiger habe man in „sehr kurzer Zeit die Kollegen aus dem Haus gebracht“. Hier wieder eine Konferenz-Ordnung zu etablieren und Verbindungen zu schaffen, seien „klassische Stellvertreteraufgaben“, sagte er. Marinos ergänzte, Stellvertreter seien oft näher dran an der Basis. „Sie müssen genau hinsehen: Wie geht es den Leuten da draußen?“ Bei diesem Thema würden Stellvertreter in Zukunft eine große Rolle spielen.

Die Vernetzung kann beginnen

Marinos betonte, dass das Symposium ein Anfang sei, ein Startpunkt für die Vernetzung von Stellvertretern. Näheres Kennenlernen fand auf dem Symposium schließlich in kleinen Online-Runden statt.

Ein Auftakt ist also gemacht, Probleme und Chancen der Stellvertreter-Rollen sind skizziert. Nun kommt es auf Verlage, Chefs, Stellvertreter und Redaktionen gemeinsam an, etwas Positives daraus zu entwickeln. Damit der „Althans“ für immer der Vergangenheit angehört.

Links

Hier geht es zum Buch von Alexander Marinos

Hier zu den Ergebnissen seiner Studie

Zu seiner Homepage

Hier geht es zu einem drehscheibe-Interview mit Marinos

 

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