Soziale Medien

Ein Satz mit X

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Nach der Übernahme durch Elon Musk wurde Twitter im Juli 2023 zu X.
Nach der Übernahme durch Elon Musk wurde Twitter im Juli 2023 zu X.

Der Bundesvorstand der SPD, zahlreiche Behörden und Universitäten haben es getan - und viele Medienhäuser und Journalisten ebenfalls: Sie haben die Plattform X, vormals Twitter, verlassen, weil sich das Niveau der dort verbreiteten Inhalte seit dem Kauf der Plattform durch Elon Musk zusehends verschlimmert.

Christian Urban ist Redakteur bei Nordbayern.de
Christian Urban ist Redakteur bei Nordbayern.de

Zum Abschied Hass und Häme

Der Verlag Nürnberger Presse (VNP) zum Beispiel entschied sich im Oktober, die X-Accounts von Nordbayern.de, Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung abzuschalten. Der Account von Nordbayern.de, der wichtigste des Verlags, hatte in den vergangenen Jahren zwischen 15.000 und 20.000 Follower. „Wir hatten zuletzt aber nur Reaktionen im einstelligen Bereich. Meistens hässliche“, sagt Christian Urban, Redakteur bei Nordbayern.de. „Zuletzt wurden wir von Accounts mit blauem Haken überrannt, besonders bei Reizthemen wie der AfD und der Klimakrise.“ Den von Urban erwähnten „blauen Haken“, der einst die Echtheit eines Accounts bestätigte, kann sich seit einem Jahr im Rahmen des Abos X Premium jedermann kaufen. Das bringt unter anderem Vorteile für die Sichtbarkeit der eigenen Kommentare.

Zum Abschied habe es „eimerweise Hass und Häme“ gegeben, sagt Urban. „Die Antwortfunktion habe ich von vornherein ausgeschaltet, weil ich ahnte, was passieren würde.“ Der Abschieds-Tweet von Nordbayern.de sei aber „in der AfD-Blase“ massiv verbreitet worden, erläutert Urban. Als er den Account abschaltete, stellte er fest, dass der allerletzte Tweet 120-mal zitiert worden war. „Somit erzielte der Tweet, mit dem wir uns verabschiedet haben, die größte Reichweite aller Zeiten.“

Urbans Fazit: „X ist eine völlig degenerierte Plattform, die man durch eigene Inhalte nicht weiter befeuern sollte.“ Es sei „moralisch nicht vertretbar“, dort zu bleiben. Er könne es jedoch nachvollziehen, wenn sich überregionale Medien mit reichweitenstarken Accounts aus „wirtschaftlichen“ Erwägungen anders entschieden.

Als sich die drei Accounts der VNP von X verabschiedeten, ging das einher mit der Ankündigung eines „Neuanfangs“ bei Bluesky. @nordbayern.bsky.social hat derzeit 800 Follower. „Wir diskutieren noch darüber, ob wir trotz der geringen Reichweite da bleiben sollen“, sagt Urban. „Ich selbst plädiere dafür, weil ich es wichtig finde, dort präsent zu sein.“

Luise Lange-Letellier ist Teamleiterin bei Correctiv.
Luise Lange-Letellier ist Teamleiterin bei Correctiv.

Besinnung auf andere Kanäle

Die Recherche-Plattform Correctiv, die sich ungefähr zur selben Zeit verabschiedete wie der Verlag Nürnberger Presse, hat nach ihrem finalen Tweet ähnliche Häme erlebt. „Unsere Ankündigung wurde von der Gegenseite als Sieg gewertet, dass sie jetzt die Plattform erobert hat“, sagt Luise Lange-Letellier, die das Kommunikationsteam von Correctiv leitet. „Die Reaktion hat uns aber nicht überrascht.“ Schließlich sei Correctiv seit der Hochzeit der Corona-Pandemie „ein Feindbild für verschwörungstheoretische und rechtsextreme Kreise.“

Was hat sich bei der Verbreitung der eigenen Recherchen nun verändert? „Wir sind jetzt aktiver auf LinkedIn, wo politische Inhalte besser funktionieren als noch vor Jahren“, sagt Lange-Letellier. Außerdem profitiert man davon, dass der eigene Kanal bei Instagram dank der Recherche zum Rechtsextremistentreffen bei Potsdam „explodiert“ sei. Correctiv hat dort jetzt 220.000 Follower, der stillgelegte X-Account erreichte seinerzeit 122.000.

„Direkte Kommunikation über die eigenen Kanäle funktioniert besser als Kommunikation in den Sozialen Medien. Das wussten wir schon, bevor wir X verlassen haben, aber nach dem Abschied haben wir unsere entsprechenden Aktivitäten natürlich verstärkt“, sagt Lange-Letellier. Das gilt zum Beispiel für die Newsletter-Aktivitäten.

Was die Kommunikation des Teams von Correctiv.Lokal angeht, betont sie die immer wichtiger werdende Rolle der Chat-Plattform Slack. Hier - unter anderem in Unter-Channels, etwa zur Klimakrise - tauschen sich Kollegen von Correctiv mit anderen Lokaljournalisten über Recherchen und künftige Projekte aus.

Hanning Voigts ist Korrespondent der Frankfurter Rundschau im hessischen Landtag.
Hanning Voigts ist Korrespondent der Frankfurter Rundschau im hessischen Landtag.

Verlorener Diskursraum

Hanning Voigts, Korrespondent der Frankfurter Rundschau im hessischen Landtag, hat sich ebenfalls im Herbst von X zurückgezogen. „Ich habe das Gefühl, die negativen Seiten, die Twitter immer schon hatte, sind mittlerweile das, was die Plattform ausschließlich ausmacht“, sagt er. „X ist mittlerweile eine Höllenmaschine geworden, man trifft nur noch auf Hass und Wahnsinn.“ Der US-amerikanische Holocaust-Leugner Nick Fuentes und der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner können etwa ihre Accounts wieder nutzen, nachdem das Unternehmen sie in der Prä-Musk-Zeit gesperrt hatte. „Da sind wirklich alle Dämme gebrochen. Die Plattform dient letztlich rechtem Agenda-Setting“, befindet Voigts.

Schon Monate, bevor er Twitter verlassen hat, habe er „keine positiven Rückmeldungen mehr bekommen“, ergänzt Voigts. „Ich habe keine spannenden Diskussionen mehr erlebt, keine Anregungen mehr erhalten. Egal, was ich getwittert habe - die Reaktion war Hass. Es kamen immer sofort zehn Kommentare von Accounts von rechten Männern.“

Auch die Zeit vor der Übernahme durch Musk war für Voigts schon problematisch: „Twitter hat mir nicht gutgetan. Da ist zu viel Zeit und Energie reingegangen.“ Er ist nun bei Bluesky aktiv, verfährt dort aber anders: „Ich teile da meine Texte, aber ich muss nicht mehr zu jeder Debatte etwas sagen. Meiner mentalen Gesundheit tut das gut.“ Gelöscht hat Voigts seinen X-Account aber nicht, sondern ihn stillgelegt. Denn: „Gelegentlich muss ich noch bei Twitter reingucken, um Politikerreaktionen zu bestimmten Themen mitzubekommen.“

Der Parlamentskorrespondent versteht, dass Institutionen sich mit dem Abschied von X schwerer tun als Privatpersonen: „Die Frankfurter Polizei, die Feuerwehr und die Stadt Frankfurt sind da sehr erfolgreich und erreichen ein Publikum, das sie sonst nicht erreichen können. Aber der Preis ist halt hoch, weil man eine Hassmaschine legitimiert und füttert.“

Einen Preis hat in gewisser Hinsicht auch Voigts gezahlt, der bei Twitter/X 30.000 Follower erreichte: „Ich habe dank Twitter Anfragen für Moderationen bekommen und Ähnliches. Man merkt schon, dass das jetzt wegfällt.“ Dennoch rate er jedem, seine Aktivitäten auf X einzustellen.

Wie Christian Urban von Nordbayern.de sagt auch Voigts, dass X „nicht zu retten“ sei. Ein weit verbreitetes Argument für den Verbleib bei X hält er für hinfällig: „Oft wurde gesagt, es könnten nicht alle Guten gehen, dann übernehme ja komplett die Gegenseite den Laden. Das ist aber längst passiert“, meint Voigts. „Wir linken, liberalen Demokrat*innen und an Aufklärung, Realität und Wahrheit interessierten Personen haben verloren. Am Tag, als Musk Twitter gekauft hat, haben wir diesen Diskursraum verloren. Das ist offensichtlich, das kann niemand leugnen.“

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