Lokales zum Lauschen
von René Martens
Wenn es darum geht, neue Produkte und Projekte zu präsentieren, um Leser zu binden oder neue zu gewinnen, kommt es auch auf den richtigen Zeitpunkt an. Der Augsburger Allgemeinen kam es zupass, dass in Bayern gerade der Wahlkampf beginnt. Dass am 14. Oktober ein neuer Landtag gewählt wird, sei jedenfalls ein „sehr guter Zeitpunkt“, um den Podcast „Bayernversteher“ zu starten, sagt Chefredakteur Gregor Peter Schmitz.
Der Bayernversteher
Die ersten Folgen bestritt Schmitz gemeinsam mit Redakteuren des Hauses. „Dieses Konzept wollen wir aber immer wieder aufbrechen“, sagt der Chefredakteur. Zu Gast war kürzlich etwa Wolfgang Krebs, ein in Bayern sehr bekannter Kabarettist, der gern die CSU-Politiker Horst Seehofer, Edmund Stoiber und Markus Söder imitiert. Ministerpräsident Söder selbst ist in den kommenden Wochen ebenfalls als Gast eingeplant, er hat bereits zugesagt.
Fester Bestandteil des „Bayernverstehers“ ist die Diskussion von Umfragen, die die Augsburger Allgemeine beim Online-Meinungsforschungsinstitut Civey in Auftrag gibt. Die Ergebnisse der „Sonntagsfrage“ zur bayerischen Landtagswahl greifen Schmitz und Co. in jeder Sendung auf. Auch bei anderen Themen kooperiert die AZ mit Civey. Für die Folge „Von Elterntaxis bis G9: Was Eltern, Schüler und Lehrer bewegt“ – der Begriff „Elterntaxis“ bezieht sich auf Helikopter-Eltern, die ihre Kinder bis vors Schultor fahren – hatte die Redaktion die Bürger Bayerns befragt, ob diese lieber den Bund oder den Freistaat über Bildungsfragen entscheiden lassen möchten. Der Podcast ist eine der ersten nach außen spürbaren Maßnahmen des neuen Chefredakteurs Schmitz. Seit Anfang des Jahres ist der 43-Jährige, der zuvor das Politikressort der Wirtschaftswoche geleitet hatte, im Amt. Am 2. Mai, rund einen Monat nach der Premiere des „Bayernverstehers“, war der Starttermin des Chefredakteur-Newsletter „6 vor 6“, in dem Schmitz die sechs maßgeblichen Themen des Tages kommentiert.
Die Themen des Podcasts legt ein kleiner Kreis aus Online-Redakteuren und Mitgliedern des Bayern-Ressorts Anfang der Woche fest. Die Vorbereitung auf die Gespräche sei nicht sonderlich aufwendig, weil man in den Themen eh drin sei, meint Schmitz. Die Aufnahmen dauern eine halbe Stunde, gesendet werden schließlich rund 13 Minuten.
Die erste Folge des „Bayernverstehers“ erreichte 600 Zuhörer, angesichts dessen, dass das Projekt „ohne jede Werbung“ gestartet war, sei das sehr zufriedenstellend, sagt Schmitz. Kurzfristig strebe er ein „vierstelliges“ Niveau an. Das Thema Monetarisierung sei auf „Wiedervorlage gelegt“, in „zwei, drei Monaten“ wollten sich die Verantwortlichen damit noch einmal beschäftigen, sagt Schmitz. Der Chefredakteur kann sich vorstellen, dass es ähnlich gehandhabt wird wie bei „Stimmenfang“, dem Politik-Podcast von Spiegel Online, in dem die Moderatorin gleich zu Beginn den Werbepartner nennt („… wird präsentiert mit freundlicher Unterstützung von …“).
Schnack & Thumby
Der April 2018 war der Monat einer Podcast-Premiere und eines Podcast-Endes. Während die Augsburger Allgemeine ihren „Bayernversteher“ an den Start brachte, stellte im Norden der Republik der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ) „Schnack & Thumby“ ein. Die 21. Folge am 20. April war die letzte des im November 2017 erstmals ausgestrahlten Podcasts.
Unter dem Titel „Schnack & Thumby“ – angelehnt an den Namen der Gemeinde Schnarup-Thumby im Kreis Schleswig-Flensburg – liefen freitags zunächst vor allem Wochenrückblicke. Zwei Moderatoren führten dabei Interviews mit Redakteuren des Hauses zu den Themen der Woche. Die Palette reichte vom schneebedingten Verkehrschaos bis zu der Frage, wie es moralisch einzuschätzen ist, dass die Landesregierungen von Hamburg und Schleswig-Holstein die HSH Nordbank an einen Finanzinvestor verkauft haben, der auch mit Waffen handelt.
„Im Laufe der Zeit haben wir unser Format etwas geändert und nicht mehr nur unsere eigenen Leute interviewt“, sagt Online-Redakteur Maximilian Matthies, der mit vier weiteren Kollegen aus dem Ressort das Moderatorenteam bildete. Die letzten beiden Folgen von „Schnack & Thumby“ – ein Talk mit einer Instagram-Influencerin aus Kiel sowie ein Bericht von einem Barcamp in Flensburg („So läuft eine Unkonferenz“) – waren beispielsweise monothematisch.
Die Hörerzahl habe „sich nicht so entwickelt, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagt Matthies. 1.000 Hörer erreichte „Schnack & Thumby“ im Schnitt, 5.000 hatten sich die Macher als Ziel gesetzt. „Vielleicht haben wir unsere Zielgruppe nicht genug an die Hand genommen und mit dem neuen Format Podcast vertraut gemacht“, meint Matthies.
Letztlich stand die Hörerzahl in keinem angemessenen Verhältnis zum vergleichsweise hohen Aufwand, den der SHZ-Verlag für seinen Podcast betrieb. Mit der Vorbereitung, der Aufnahme und der Abnahme bzw. dem „Korrekturhören“ der 15- bis 30-minütigen Sendungen seien die beiden Moderatoren jeweils etwa acht Stunden, also einen Arbeitstag, beschäftigt gewesen, sagt Matthies.
Entmutigen lassen will man sich beim SHZ-Verlag aber nicht. Der digitale Wandel erfordere es, mit Projekten zu experimentieren, deren Erfolg sich naturgemäß nicht planen lasse, sagt Matthies. Audio-Formate wollen die Flensburger jedenfalls auch künftig produzieren.
Matthies kann sich beispielsweise das Einfügen von Audio-Schnipseln in Artikeln vorstellen. Die Planungen befänden sich jedoch noch in der Anfangsphase, sagt er.
Hier spricht der Chefredakteur
Ähnlich wie bei der Augsburger Allgemeinen ist der Podcast bei der Berliner Zeitung Sache des Chefredakteurs. Seit Mai 2017, also seit rund einem Jahr, präsentiert Jochen Arntz jeden Freitag ab sechs Uhr „Berlin Mitte“.
„Hier spricht der Chefredakteur“, lautet der Untertitel, allerdings bestreitet Arntz die sechseinhalb- bis siebenminütigen Folgen nur in Ausnahmefällen allein. In der Regel unterhält er sich mit Redakteuren des Hauses, im März etwa mit der Gerichtsreporterin Katrin Bischoff über den regional aufsehenerregenden Fall eines Hausarztes aus Berlin-Steglitz, der in einem Sterbehilfe-Prozess freigesprochen worden war. In einer anderen Folge war Brandenburg-Korrespondent Jens Blankennagel zu Gast, um mit Arntz über eine Idee von Ingo Senftleben, dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im brandenburgischen Landtag, zu diskutieren. Der Christdemokrat hatte laut über eine Koalition aus CDU und Linken in Brandenburg nachgedacht. Die zahlreichen Reaktionen auf dieses „Berlin Mitte“-Thema hätten einen Leitartikel in der Berliner Zeitung inspiriert, sagt Arntz. Der Podcast erzeuge ohnehin eine „starke Rückkopplung bei den Lesern“, so der Chefredakteur.
Als „Behind the scenes“-Format dient „Berlin Mitte“ gegebenenfalls auch. So war der Relaunch der Zeitung Thema einer Podcast-Folge im April. Wie die Idee zu Geld werden kann, darüber habe er bereits nachgedacht, sagt Arntz. „Aber wir haben noch nicht aktiv Werbung akquiriert.“ „Berlin Mitte“, ergänzt er, sei nicht in erster Linie dafür gedacht, um mit Werbung Geld zu verdienen, sondern um Werbung zu machen – für die Zeitung.
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