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Mal eben abgeschrieben

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Abschreiben tabu – in der Schule wie im Journalismus
Abschreiben tabu – in der Schule wie im Journalismus (Foto: contrastwerkstatt/fotolia)
Benjamin Piel ist Chefredakteur des Mindener Tageblatts.
Benjamin Piel ist Chefredakteur des Mindener Tageblatts.

Dass die Emotionen derart hochkochen, hätte Benjamin Piel nicht gedacht. Dabei war dem Chefredakteur des Mindener Tageblatts bewusst, dass das Beispiel, das er auf Twitter schilderte, kein Einzelfall ist: Eine Redakteurin der Zeitung deckte in aufwendiger Recherche die Geschichte einer indischen Studentin auf, die in der Stadt Fotos machte und dabei fälschlicherweise für eine Einbrecherin gehalten wurde. Einige Wochen später tauchte das Thema auch in der Zeitung Die Welt auf – ohne Verweis auf das Mindener Tageblatt. Piels Twittereintrag bekam nicht nur zahlreiche Kommentare, auch der Deutschlandfunk reagierte mit einem Bericht darüber, wie überregionale Medien sich auf die Arbeit von Lokalzeitungen stützen, ohne diese als Quelle zu nennen. „Daran, wie andere Kollegen reagieren, sieht man, dass man einen Nerv trifft“, sagt Piel. Er ist sich sicher: „Jeder Lokaljournalist könnte so eine Geschichte erzählen.“

Sven Kauffelt ist Redaktionsleiter der Borkener Zeitung.
Sven Kauffelt ist Redaktionsleiter der Borkener Zeitung.

Fehlende Wertschätzung

So zum Beispiel Sven Kauffelt, Redaktionsleiter der Borkener Zeitung. Diese hatte im September als erste über den Referendar eines örtlichen katholischen Gymnasiums berichtet, den der Schulträger nicht als Lehrer einstellen wollte, weil er plant, seinen Freund zu heiraten. Schon kurze Zeit später schaffte es diese Angelegenheit bundesweit in die Schlagzeilen, von der Borkener Zeitung war dabei jedoch kaum die Rede.

Kauffelt schildert weiter, dass die Zeitung aus einem Elternbrief der Schule zitiert und dabei den Namen des Referendars ersetzt habe, um ihn zu schützen. Dieses abgewandelte Zitat sei einige Tage später bei RTL als aktuelle Stellungnahme der Schule aufgetaucht. Was Kauffelt besonders ärgert: Nachdem Spiegel Online berichtet hatte, wurde dieser von anderen Medien mehrfach zitiert; im Tagesspiegel hieß es sogar, der Fall sei von Spiegel Online öffentlich gemacht worden. „Damit wird die Arbeit der Lokaljournalisten einfach nicht wertgeschätzt. Da werden sich die Bonbons der Lokalberichterstattung rausgepickt, und es wird so getan, als seien sie selbst gemacht.“

Holger Sabinsky-Wolf ist Redakteur der Augsburger Allgemeinen.

Dabei ist es grundsätzlich nicht verwerflich, dass überregionale Medien im Lokalen nach Themen suchen. „Manchmal hilft es sogar in der Recherche, wenn sich etwas weiterverbreitet; das öffnet hin und wieder Kanäle, die man vorher nicht hatte“, betont Holger Sabinsky-Wolf. Als Redakteur der Augsburger Allgemeinen, verantwortlich für Justiz und Landespolitik, stößt er des Öfteren auf Affären oder exklusive Gerichts-Geschichten und hat ebenfalls schon die Erfahrung gemacht, dass Recherchen aufgegriffen, Zeitungen aber nicht genannt wurden. Kürzlich erst entdeckte er auf Spiegel Online einen Beitrag über zwei miteinander liierte Richter einer Strafkammer, über die er zuerst berichtet hatte. „Der Artikel folgt demselben Muster, aber es sind teils andere Gesprächspartner. Die Geschichte ist natürlich auch schwierig anders zu erzählen“, sagt er.

So wie in diesem Fall ist es oft nicht eindeutig, wie andere Medien auf einen Sachverhalt aufmerksam geworden sind. Das sei schlechte Gewohnheit geworden, geschehe teilweise aber auch unbewusst, meint Sabinsky-Wolf. In den Fällen, in denen er andere Redaktionen deshalb kontaktiert habe, habe es keine große Diskussion gegeben, die Quellenangabe zu korrigieren. Auch Piel will keine böse Absicht unterstellen. „Es wird einfach nicht für wichtig gehalten. Minden, das ist irgendwo im Nirgendwo, das hat man nicht im Blick“, sagt er. Kauffelt wiederum sieht Agenturen in der Pflicht, die Quelle konkret zu benennen und nicht etwa nur von „einer Lokalzeitung“ zu schreiben. Eine Entschuldigung ist das für ihn jedoch nicht. „Wir schauen auch, was andere Zeitungen machen. Aber zur Fairness gehört, es nicht so hinzustellen, als hätte man ein Thema selbst aufgedeckt.“

Sonja Volkmann-Schluck ist Referentin des Deutschen Presserats.
Sonja Volkmann-Schluck ist Referentin des Deutschen Presserats.

Beschwerde beim Presserat

Obwohl das Thema Lokaljournalisten sehr bewegt – beim Presserat landen die Fälle offenbar nicht. Sonja Volkmann-Schluck, der Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, ist jedenfalls keine derartige Beschwerde bekannt. Dabei wäre das möglich: „Zwar hängt jede Entscheidung vom Einzelfall ab. Aber wenn überregionale Medien Geschichten oder Recherchen von Lokalzeitungen übernehmen, ohne diese als Quelle zu nennen, widerspricht dies der Sorgfaltspflicht“, sagt Volkmann-Schluck. Ende vergangenen Jahres schrieben mehrere Medien von einer Regionalzeitung Details über eine Demonstration ab, die sich später als falsch herausstellten. Der Presserat erteilte einen Hinweis und appellierte „an die Redaktionen, eigene Recherchen trotz Zeitnot nicht zu vernachlässigen“. Weiter hieß es in der Entscheidung: „Der Presserat sieht in der Veröffentlichung ungeprüfter Aussagen aus anderen Medien einen Verstoß gegen den Pressekodex.“ Wenn sie nicht kennzeichnen, von wem eine übernommene Recherche stammt, würden Journalisten die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Presse aufs Spiel setzen, ergänzt Volkmann-Schluck.

Warum aber werden die Fälle so selten öffentlich? Piel hat die Erfahrung gemacht, dass sich durchaus auch Leser dafür interessieren. Deshalb findet er, es müsse offensiver damit umgegangen werden. „Es ist eine Sache, die unsere alltägliche Arbeit betrifft und über die wir reden sollten. Wenn wir das nur intern besprechen, dann bekommt es keiner mit und dann ändern sich die Dinge auch nicht.“ Das sehen jedoch nicht alle Lokaljournalisten so. Für Holger Sabinsky-Wolf ist das Thema in erster Linie eine Branchendiskussion. Davon, sie öffentlich über soziale Netzwerke auszutragen, hält er nicht viel. „Das müsste über andere Kanäle laufen“, meint er. „Beispielsweise könnte sich eine Chefredakteursrunde von Regionalzeitungen zusammensetzen und ein Papier verfassen.“

Selbstvertrauen

In einem anderen Punkt sind sich Piel und Sabinsky-Wolf aber einig: Sie appellieren an das Selbstbewusstsein ihrer Kollegen. „Die Tatsache, dass immer wieder Geschichten von überregionalen Medien aufgegriffen werden, spricht ja nur für die Qualität dieser Beiträge“, sagt Sabinsky-Wolf. Auch Piel möchte anderen Lokaljournalisten die Scheu davor nehmen, vermeintlich große Medien zu kritisieren. Strategisch sei es wichtig, von vornherein zu erkennen, wann ein Beitrag das Potenzial hat, überregional thematisiert zu werden, um im Zweifel umgehend zu reagieren. Nur: Das kostet Zeit, die gerade im Lokaljournalismus knapp ist. Kauffelt meint: „Wenn ich alle anderen Medien hätte kontaktieren wollen, wäre ich einen halben Tag nur mit Mails beschäftigt gewesen.“ Ihn ärgert, dass das überhaupt notwendig sei. „Wir alle haben diesen Beruf mal gelernt, und dazu gehört der Umgang mit Quellen. Eine Lokalzeitung ist doch auch eine Quelle, warum klappt es da nicht?“

 

Dieser Text erschien in der drehscheibe-Ausgabe 14/18. Welche Stellung die Gegenseite bezieht, lesen Sie im zweiten Teil: Aus Versehen abgeschrieben?

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