Reportage

Nach der Sintflut

von

Die Nepomuckbrücke in Rech im Ahrtal ein halbes Jahr nach der Flut. (Foto: AdobeStock/EKH-Pictures)
Die Nepomuckbrücke in Rech im Ahrtal ein halbes Jahr nach der Flut. (Foto: AdobeStock/EKH-Pictures)

Dörfer unter Wasser, kaputte Häuser und zerstörte Infrastruktur: Mitte September 2024 sind ganze Regionen in mehreren Ländern Osteuropas überflutet. Bei den Bewohnern des Ahrtals wecken diese Bilder sicherlich Erinnerungen: an das Hochwasser in ihrer Region im Sommer 2021. Ein Besuch dort drei Jahre später zeigt, wie die Menschen auf die Flut zurückblicken und was sie sich von den Lokalzeitungen wünschen.

Sven Westbrock ist Chefreporter Siebengebirge des General-Anzeigers. (Foto: Andreas Dyck, General-Anzeiger)
Sven Westbrock ist Chefreporter Siebengebirge des General-Anzeigers. (Foto: Andreas Dyck, General-Anzeiger)

Es ist ein sonniges Wochenende Anfang September. In der historischen Fußgängerzone des Städtchens Ahrweiler drängen sich Menschen vorbei an geschmückten Schaufenstern und bunten Fachwerkhäusern. Die Gerüste und Spendenbanner sind im Trubel leicht zu übersehen. In einer Seitengasse befindet sich ein Café des Vereins Hoffnungswerk, ein Begegnungsort. Der Verein wurde nach der Flut von Helferinnen und Helfern gegründet, er betreibt verschiedene Projekte in der Region, darunter auch zwei Cafés für Betroffene der Flut. „Viele der Menschen, die vor drei Jahren zu uns gekommen sind, schauen heute immer noch vorbei. Das Bedürfnis, sich über Erlebtes auszutauschen, ist weiterhin groß“, erzählt Erika Neustädter, Verantwortliche für den Begegnungsort. Auch Journalisten sind immer wieder im Café, um über den Verein zu berichten und mit Betroffenen zu sprechen. „Das Interesse ist nach wie vor da. Wir bekommen immer noch viele Anfragen – wenn auch nicht mehr ganz so viele wie zu Beginn“, berichtet Neustädter.

Frust nach der Flut 

Diesen Eindruck teilen aber nicht alle Besucher im Café. „Wir wurden schon längst wieder vergessen“, meint eine Betroffene. „Am Anfang war das Interesse groß. Die meisten Journalisten waren dann aber schnell wieder weg“, schildert sie ihren Eindruck. Ein ehrliches Interesse an der Lage im Ahrtal habe sie damals von vielen Medienvertreten nicht wahrgenommen. „Ich würde mir wünschen, dass mal nachgeforscht wird, was eigentlich mit den Geldern und Spenden passiert ist“, ärgert sich die Betroffene. Ein anderer Besucher im Begegnungsort stimmt ihr zu. Einige würden seit Jahren in Eigenleistung mühsam versuchen, ihr Zuhause wieder aufzubauen. Viele würden sich von der Politik und den Medien alleingelassen fühlen, berichtet er.

Als Redakteur im Flutgebiet 

Sven Westbrock des Bonner General-Anzeigers kennt den Frust der Menschen im Ahrtal. Er war Chefreporter in der Lokalredaktion in Ahrweiler, seit Mitte September ist er Chefreporter für die Redaktion im Siebengebirge. In den Tagen und Wochen nach der Flut war er vor Ort, berichtete aus den überschwemmten Orten und sprach mit den Menschen (siehe drehscheibe 10/2021). Drei Jahre nach dem Unglück spielt die Flut immer noch eine bedeutende Rolle für seine Redaktion: „Wenn ich mir die Print-Ausgaben der vergangenen Tage anschaue, ist immer mindestens ein Artikel zur Flut dabei“, stellt Westbrock fest.

„Nach dem 15. Juli 2021 hat sich unsere Berichterstattung grundsätzlich geändert“, erzählt er. „Zunächst haben wir viel über die tagesaktuellen Vorgänge nach der Flut berichtet. In letzter Zeit haben wir uns eher auf Menschen fokussiert, die immer noch mit den Auswirkungen der Flut zu kämpfen haben und noch keine Hilfe aus den Wiederaufbaufonds bekommen haben. Aber auch über die Fortschritte in der Region berichten wir immer wieder.“

Durch die Flut sei für ihn besonders deutlich geworden, wie wichtig Lokalredaktionen bei solchen Katastrophen sind: „Wir geben unseren Lesern eine Stimme. Wir sind diejenigen, die dafür sorgen müssen, dass die Flutopfer nicht in Vergessenheit geraten, sondern durch uns eine Plattform bekommen und gehört werden.“ Den Fokus aufs Lokale habe ihn die Flutberichterstattung noch mal ganz besonders gelehrt. „Rückblickend hätte ich nicht viel anders gemacht. Aber ich erinnere mich noch, dass viele der großen Medien am Anfang mehr über die aktuelle Lage wussten als wir, weil die Kommunikation im Krisengebiet schwierig war. Wir merkten schnell, dass wir uns als Lokalzeitung eher auf das Schicksal der Menschen vor Ort konzentrieren sollten“, räumt Westbrock ein.

Umgang mit Trauma

Auch Beate Au, Redakteurin im Redaktionsverbund Rhein-Ahr der Rhein-Zeitung, war unmittelbar nach der Flutnacht im Ahrtal. „In den Wochen danach habe ich viel mit sehr traumatisierten Menschen gesprochen. Zwei Fragen haben sich in der Zeit immer wieder wie ein roter Faden durch meine Arbeit gezogen: Wann muss man besonders den Respekt vor den Menschen wahren? Und wann ist man als Journalistin dazu verpflichtet, schonungslos von der Wahrheit zu berichten? Das war eine ständige Gratwanderung, die man letztlich mit sich selbst ausmachen musste“, erinnert sich die Redakteurin. Einmal verzichtete sie etwa darauf, ein Foto von völlig abgekämpften Feuerwehrleuten zu machen.

Von ihrem Verlag sei sie damals tatkräftig unterstützt worden. Die Rhein-Zeitung hat in den Wochen nach der Flut Redakteure aus anderen Regionen abgezogen, um bei der Berichterstattung zu helfen. Den Journalisten, die im Ahrtal unterwegs waren, wurde psychologische Unterstützung vom Verlag angeboten, auch Impfungen gegen mögliche Krankheiten, die in Hochwassergebieten entstehen können. „Es haben alle ihr Bestes gegeben. Es gab ja keine Blaupause, wie man als Lokalredaktion mit so einer Situation umgeht“, erzählt die Redakteurin. „Darauf kann man sich nicht vorbereiten. Auch jetzt kann ich nicht sagen, dass wir besser für ähnliche Fälle gewappnet sind. Jede Katastrophe ist anders, da muss man flexibel reagieren“, meint Au. Ihre große Stärke sei die langjährige Arbeit im Ahrtal gewesen. „Ich arbeite seit 45 Jahren in dem Gebiet. Viele der Menschen, die ich dort angetroffen habe, kannte ich schon. Sie hatten Vertrauen in mich und waren mir gegenüber offen“, erinnert sie sich.

Blick nach vorn 

„Inzwischen höre ich in den Gesprächen mit den Menschen immer wieder, dass sie sich eine Berichterstattung wünschen, die nicht immer nur erzählt, wie schlimm hier alles ist, sondern dass auch nach vorne geschaut wird“, sagt Au weiter. „Es müssen nicht ständig alte Wunden aufgerissen werden.“ Selbst in Dörfern wie Mayschoß, Dernau oder Altenburg, wo viele Häuser noch immer eingerüstet oder zu Ruinen verfallen sind, ist das Bedürfnis nach Normalität groß. Über das Ahrtal mit dem Schrecken der Flut, aber auch mit seiner Schönheit als Tourismusregion müsse wieder mehr berichtet werden, heißt es immer wieder. Auch Redakteur Westbrock vom General-Anzeiger sagt: „Viele wünschen sich einen positiven Blick auf das, was schon gut läuft.“

Offensichtlich ist: Die Menschen im Ahrtal wollen nicht vergessen werden, aber auch hier kann das Leben nur zur Normalität zurückkehren, wenn wieder Touristen in die Region kommen. Wie schön es vor Ort inzwischen auch wieder aussieht, müssen die Menschen im Rest von Deutschland aber erst mal erfahren – am besten durch guten Lokaljournalismus.

Link

Wie häufig inzwischen Extremwetterereignisse geworden sind und wie Lokalredaktionen damit umgehen, zeigt auch die Ausgabe 10/2021 zum Thema „Klima und Katastrophe“. Hier geht es zur Ausgabe.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 12/2024 der drehscheibe.

Veröffentlicht am

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.