Medienschau
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Wirkt sich der Fall Relotius aufs Lokale aus?
von Katharina Dodel
Das Jahr 2018 endete mit einem Medienskandal. Kann man dem, was die Redakteurinnen und Redakteure schreiben, noch trauen? Und sind Journalistenpreise noch ein seriöser Indikator für gute Recherche und herausragende Geschichten? Dass ein Journalist es mit wahren Begebenheiten nicht so genau nahm, setzt einer ganzen Branche zu. Naja, offensichtlich nicht ganz. Denn den Reaktionen im Netz nach scheint eine Teil sogar davon zu profitieren: der Lokaljournalismus. Von der direkten Nähe zu seinen Kritikern ist die Rede, von wütenden Bürgern, die sofort in der Redaktion aufschlagen, sobald etwas im Artikel nicht stimmt. Wir blicken auf die lokalen Reaktionen zum Fall Relotius:
- Ausführliche Stellungnahmen aus dem Lokalen: Als eine der ersten stellt Hannah Suppa, Chefredakteurin der Märkischen Allgemeinen, klar, „warum so ein Betrug im Lokaljournalismus nicht möglich wäre“. Für sie ist der Fall Relotius der „größte Journalismusskandal in Deutschland seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern im Stern 1983“. Dass so etwas passieren konnte, schreibt sie unter anderem der journalistischen Ausbildung zu. Storytelling seit oftmals ein Kernpunkt der Ausbildung. „Da liegt bereits in der Begrifflichkeit der Fehler: Journalismus ist keine Erzählung – wenngleich er gute Geschichten hervorbringen kann. Weil das Leben sie hergibt. Doch die Medienbranche hat die Erzählung zuletzt immer häufiger zum Qualitätskriterium stilisiert“, schreibt Suppa. Ob diese Erzählungen und Beschreibungen von Orten und Sachverhalten bis ins kleinste Detail richtig sind, werde im Lokalen sofort geprüft, vom besten Korrektorat, der „Gemeinschaft in der Heimat“. „Jede Ungenauigkeit, jedes verdichtete Zitat, jede unklare Beschreibung fällt auf – weil die Menschen, über die wir berichten, hier leben und es sofort zurückspielen“, ist sich die Chefredakteurin sicher. Hier geht es zum Kommentar in der HAZ.
Diese Nähe bedeute sogar noch mehr: nämlich Sicherheit und Erfolg. Der Meinung ist der Redaktionsleiter des Erdinger/Dorfener Anzeigers (Münchner Merkur), Hans Moritz. Er erklärt das so: „Die kleinen Blätter werden im großen Medienwald ja gerne belächelt – runde Geburtstage, Vereinsversammlungen, geklaute Fahrräder. Nein, wir berichten (in der Regel) nicht über die großen Ereignisse der Weltgeschichte. Unser Erfolg ist Nähe.“ Deswegen seien die Lokalzeitungen wohl am wenigsten von der Krise betroffen. „Denn Nähe ist unsere Sicherheit.“ Und weiter heißt es in seiner Ode an den Lokaljournalismus: „Das heißt natürlich nicht, dass wir fehlerfrei sind. Falsch geschriebene Namen oder Rechtschreibfehler finden Sie auch bei uns – leider trotz allen Bemühens viel zu häufig. Aber bewusste Manipulationen? Das nicht.“ Moritz zieht ein Fazit aus den teils erfundenen Geschichten im Spiegel: „Wir müssen noch intensiver verinnerlichen, nur das zu schreiben, was ist. (...) Die Wirklichkeit ist spannend und vielfältig genug.“ Hier geht es zum Kommentar im Münchner Merkur.
- Twitter und der Lokaljournalismus
- Ein Blick zu den Nachbarn
In der Schweiz beschäftigt sich der Tagesanzeiger auf dem „Politblog“ mit Relotius und dem Lokaljournalismus. Autor ist Fabian Renz, Ressortleiter Politik der Berner Tageszeitung Der Bund. Er appeliert an alle Leser: „Schauen Sie sich die Lebensläufe der Journalisten an. Und wenn daraus hervorgeht, dass die Betreffenden längere Zeit auf einer Regionalredaktion tätig waren, dürfen Sie das als gutes Zeichen werten.“ Weiter schreibt er: „Regionaljournalismus ist für Adepten der Branche die beste und effektivste Lauterkeitsschule. Nichts imprägniert in vergleichbarer Weise gegen Eigenmächtigkeit und Selbstüberschätzung. Wer Haus an Haus mit den Leuten wohnt, über die er schreibt, bekommt Sorgfalt und Präzision gelehrt.“ Hier geht es zum Blog des Tagesanzeigers.
In Österreich resümiert Medienberater Peter Plaikner in den Salzburger Nachrichten in einem kurzen Online-Kommentar: „Die Möglichkeit der Behauptung wächst mit dem Abstand des Adressaten. Regional verankerte Medien sind beim Vertrauenserhalt im Vorteil. Ihre Berichterstattung muss vor Ort bestehen. Guter Journalismus beginnt an der Haustür und ist die beste Basis für die Qualität eines Mediums.“ Hier geht es zum Kommentar in den Salzburger Nachrichten. - Kritik am Lokalen
Lob und Tadel stehen meist sehr dicht beieinander. Und so bringt die Debatte um Claas Relotius und seine Texte auch den Fall einer Mitarbeiterin der Märkischen Allgemeinen zutage, die zur Pressestelle der Stadt wechselte, aber weiterhin für die Zeitung schreiben durfte.
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