Wenn es der „Lügenpresse“ schwer fällt, neutral zu bleiben
von Gastautor
Bei der Wahl zum Journalisten des Jahres ist Uwe Vetterick, der Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, in der Kategorie „Chefredakteur regional“ auf dem Spitzenplatz gelandet. Die Jury des medium magazins wählte ihn auf Platz 1, Michael Bröcker von der Rheinischen Post und Robert Skuppin von RBB Radio eins folgten auf den Plätzen 2 und 3. Der folgende Text ist eine leicht überarbeitete Fassung der Laudatio, die Dieter Golombek am 15. Februar gehalten hat. Hinweise zu allen Preisträgern finden sich hier beim medium magazin.
Wer Lobesworte für Uwe Vetterick sucht, darf sich bei Paul-Josef Raue bedienen. Auf die klassische Frage des medium magazins nach seinen drei Medien-Lieblingen nennt er an erster Stelle die Sächsische Zeitung, noch vor Fünf vor 8.00, dem mit Edelfedern bestückten Online-Produkt der Zeit. Raue, über Jahrzehnte selbst einer der Großen der Zunft, adelt damit einen Chefredakteur, wie man ihn feiner nicht adeln kann. Vetterick ist ein Stratege, er denkt das Konzept Regionalzeitung zu Ende, zu einem positiven Ende. Er probiert viel aus, demonstriert, wie im digitalen Zeitalter Experimente zum Geschäft gehören. Er ist ein Kopf, dem die Ideen nie ausgehen. Eines seiner Erfolgsmodelle ist „Lesewert“, ein Instrument, mit dem die Redaktion messen kann, bis zu welcher Textpassage ein Autor seine Leser mitnimmt. „Lesewert“ macht die eigene Zeitung besser und ist auch schon bei anderen Medien erfolgreich, die dem Verlag das Produkt abgekauft haben.
Unter Vettericks Regie setzt die Redaktion selber viele Themen, mit der Serie „Ambulant operieren“ einen Check der Praxen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben. 338 Seiten widmet sie dem Glück der Sachsen, auf einer Glückskarte zeigt sie die glücklichsten und unglücklichsten Orte im Verbreitungsgebiet. Mit einem Familienkompass misst sie die Zufriedenheit der Familien in den sächsischen Städten. Ein Online-Navigator hilft Eltern bei der Suche nach der richtigen Schule. Die Zeitung dient mit Orientierung und Alltagshilfe, provoziert Politik und Bürokratie zum Handeln. Die Redaktion spielt ihre Stärken in der Region aus, macht, was sie tun soll, macht das Medium unverzichtbar.
Ein Thema hat sich die Redaktion nicht ausgesucht: Pegida. Deren Anhänger ziehen am Zeitungshaus vorbei und skandieren „Lügenpresse“. Die Rolle des neutralen Berichterstatters fällt schwer. Pegida lastet auf Stadt wie Redaktion. Flammende Leitartikel helfen wenig. Das Rezept der Zeitung: Sie geht mit den Anführern hart ins Gericht, schont aber die Mitläufer, öffnet auch Texten ihre Leserbriefseite, die sich an der „Grenze des Erträglichen“ (Vetterick) bewegen. Ebenso wichtig: Sie beschönigt nicht, wenn es um kriminelle Ausländer geht. Und sie unterstützt die Protagonisten gegen Pegida, mit aller Power und Raffinesse, die ihr zur Verfügung steht. Die Zeitung will Haltung bewahren, ohne Leser zu verlieren. Respekt also für einen Chefredakteur, der seine angefeindete Redaktion auf Kurs hält, und der weiß, wie schwer es ist, diesen Kurs zu halten. Denn der verläuft auf einem schmalen Grat.
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