Das Spiel mit den Daten
von Rouven Kühbauch
Durch die Möglichkeiten digitaler Technik ist die Auswertung großer Datenmengen unkompliziert und effizient geworden. Online-Tools ermöglichen die einfache visuelle Darstellung quantitativer Daten. Das kommt nicht nur beim Leser gut an, es liefert auch neue journalistische Möglichkeiten. Im Interview gibt Marco Weiß, Daten-Redakteur bei FVW-Medien und ehemaliger Digitalredakteur der Schwäbischen Zeitung und Heilbronner Stimme, Tipps für einen möglichen Einstieg in den Datenjournalismus und nennt Online-Tools, die Lokaljournalisten für die Wahlberichterstattung nutzen können.
Interview mit Marco Weiß
Was verstehen Sie unter Datenjournalismus und welche Rolle spielt er im Lokaljournalismus?
Datenjournalismus erzählt spannende Geschichten, die oft auf komplexen, zahlenbasierten Sachverhalten beruhen. Im Lokalen hat sich Datenjournalismus in Deutschland noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Die Zeit neuer Tools und Darstellungsmöglichkeiten ist eben auch eine Zeit, in der viele Verlage sparen. Gerade im Lokalen bietet Datenjournalismus die Möglichkeit, Leser positiv zu überraschen und ihre Erwartungshaltung zu übertreffen. Bei Schwaebische.de waren Zugriffszahlen, Verweildauer und Kommentare jedenfalls sehr positiv.
Inwiefern kann die Wahlberichterstattung im Lokalen dadurch profitieren?
Bei einer Wahl können die lokalen Wahlergebnisse – bei guter Planung – bis auf Wahlbüroebene heruntergebrochen dargestellt werden. Dazu ist allerdings etwas Vorbereitung nötig. Eine gute Möglichkeit ist es, in jedem Wahllokal jemanden zu haben, der die Stimmen direkt nach der Auszählung in die Redaktion meldet. Ist das organisatorisch nicht möglich, hilft der Landeswahlleiter weiter. Allerdings werden die vorläufigen Wahlergebnisse hier nur bis zur Wahlkreisebene aufgeschlüsselt. Detailliertere Ergebnisse, etwa auf Wahlbezirksebene, stehen meist erst einige Zeit nach der Wahl zur Verfügung.
Welche Anlaufstellen gibt es für Lokaljournalisten, die sich damit auseinandersetzen wollen?
Erste Anlaufstelle bei Wahlen sollte das Statistische Bundes- bzw. Landesamt und der jeweilige Wahlleiter sein. Ansonsten ist es wichtig frühzeitig vor Ort Kontakte mit Behörden und Helfern aufzubauen, um an lokale Daten zu kommen. Eine Verknüpfung von Wahlergebnissen mit Geodaten kann die Darstellung anschaulicher machen. Je urbaner eine Gegend ist, desto vielversprechender sind Social-Media-Auswertungen. Außerdem sollten die Ergebnisse am Wahlabend in einem Liveticker schnell zur Verfügung gestellt werden. Da die Aufbereitung von Wahlergebnissen keine umfangreichen Datenbereinigungen erfordert, reichen Standardprogramme wie Excel aus. Für die ausführliche Analyse im Vorfeld und nach der Wahl können eine Datenbank und ein Programm zur Verarbeitung und Darstellung von Geodaten (GIS) hilfreich sein.
Welche Online-Tools können Sie Lokalredaktionen empfehlen? Was eignet sich für Einsteiger, welche bieten besonders viele unterschiedliche Funktionen?
Ich empfehle die Anschaffung eines Tools für die schnelle Visualisierung und eines mit mehr Anpassungsmöglichkeiten und Funktionen für die Nachbetrachtung und Auswertung. Schnelle Visualisierungen für einen Liveticker erstellt man am einfachsten mit Tools wie Infogram oder Datawrapper. Für höhere Ansprüche empfiehlt sich hier Tableau. Für aufwendigere Visualisierungen bieten sich Tools wie Carto, Mapbox oder Leaflet an. Auch Google bietet eine ganze Reihe einfach zu bedienender und kostenloser Tools.
Was macht guten Datenjournalismus aus? Was schlechten?
Guter Datenjournalismus erklärt quantitative Sachverhalte verständlich und anschaulich. Er erzählt gute Geschichten. Die technischen Möglichkeiten unterstützen dabei, sind aber niemals Selbstzweck. Guter Datenjournalismus arbeitet transparent, er dramatisiert und verfälscht nicht. Generell gelten die gleichen Qualitätskriterien wie bei anderen journalistischen Gattungen auch.
Gibt es Online-Seiten, die gelungene Beispiele zeigen?
Die Kollegen von Morgenpost Interaktiv machen einen super Job und sind innerhalb der Gattung Lokalzeitung sicher ganz weit vorne. Interessant für Neulinge kann auch ein Blick auf deren ältere Themen sein. Daran kann man schön sehen, wie die Projekte von Mal zu Mal besser werden und die Leute dahinter wachsen. Auch die Schwäbische Zeitung und die Heilbronner Stimme haben einige spannende Projekte realisiert.
Marco Weiß
FVW-Medien
Web: Marcoweiss.de
Datenquellen:
Landeswahlleiter und Bundeswahlleiter - Hier finden sich ausführliche Daten zu vergangenen Wahlen. Teilweise sind die Daten bereits in Tabellenform herunterladbar, was die Verwendung in Online-Tools und Programmen vereinfacht.
Statistische Landesämter und das Statistische Bundesamt – Hier finden sich allgemeine Daten über die Bevölkerung, Wirtschaft und demografische Angaben der Länder und des Bundes. Das Statistik-Portal der statistischen Ämter des Bundes und der Länder bietet einen zentralen Zugang zu statistischen Basisinformationen
Tools für Datenjournalisten
Die meisten Online-Tools bieten kostenlose Accounts für die eingeschränkte Nutzung und zum Ausprobieren an.
Das Online-Tool bietet über 35 verschiedene Diagrammdarstellungen und über 200 Karten. Diese sind interaktiv, was den Lesern ermöglicht, die Welt der Daten eigenständig zu entdecken. Interessant ist auch die Möglichkeit zur Darstellung als GIF-Datei. Für die kommerzielle Nutzung ist ein Basisaccount für 19$ im Monat nötig, mit einem kostenlosen Account lassen sich bis zu 10 Infografiken erstellen. Achtung: Das Tool ist nur auf englisch verfügbar.
Link: Infogr.am/
Auch Datawrapper bietet interaktive Diagramme und Karten. Der einfachste Zugang kostet 19€. Im Gegensatz zu Infogr.am ist Datawrapper auf Deutsch verfügbar. Für große Redaktionen gibt es darüber hinaus individuelle Lösungen, zum Beispiel mit CMS-Integration.
Link: Datawrapper.de/
Tableau bietet neben der Online-Variante auch Desktop- und Serverlösungen an und ist auf die Auswertung und Nutzung unternehmensinterner Daten spezialisiert. Die Desktop-Version kostet 999$. Die Online-Version 500$ pro Benutzer pro Jahr. Die Server-Version beginnt bei 10.000$.
Link: Tableau.com
Carto bietet interaktive Karten an. Dank einer Twitter-API lassen sich auch Daten aus Social-Media-Kanälen einfach auswerten. Um eigene Daten zu verwenden ist ein Personal Account für 149$ im Monat nötig.
Link: Carto.com
Mapbox bietet vektorbasierte Karten in unterschiedlichen Designs zur visuellen Darstellung von ortbezogenen Daten. Diese lassen sich auch in Apps einbauen. Mit Mapbox Studio lassen sich diese Karten auch selbst bearbeiten, das bietet weitere Möglichkeiten. Für die kommerzielle Nutzung ist ein Premium Account für 499$ im Monat nötig.
Link: Mapbox.com
Leaflet ist ein Java-Script, das etwa visuelle Darstellungen auf Karten und die Einbettung dieser auf Webseiten ermöglicht. Zusammen mit Kartenmaterial (etwa von Mapbox) lassen sich so interaktive Karten zur Visualisierung von Daten gestalten. Leaflet ist als Open Source Software verfügbar.
Link: Leafletjs.com
Datenauswertung für Fortgeschrittene
Für die ausführliche Analyse und die Gewinnung und Überprüfung von Hypothesen anhand von Wahl- und Wählerdaten bedarf es einiger Vorkenntnisse über statistische Methoden. Für interessierte Lokaljournalisten gibt es verschiedene Lehrbücher zum Einstieg. Das Lehrbuch „Statistik. Eine verständliche Einführung“ von Udo Kuckartz, Stefan Rädiker, Thomas Ebert und Julia Schehl bietet einen anschaulichen Einstieg mit praktischen Anleitungen zur Umsetzung (ISBN: 978-3-531-19890-3). Die von den Autoren verwendeten Beispiele aus den Sozialwissenschaften lassen sich etwa auf die Auswertung von Wählerdaten anwenden.
Eine Analyse nach wissenschaftlichen Maßstäben ist zum Beispiel mit folgenden Programmen möglich:
GNU PSPP ist ein Open-Source-Programm, das die statistische Auswertung großer Datenmengen ermöglicht. Mit ein bisschen Übung lassen sich mit dem Programm stichhaltige Aussagen über Datenmengen treffen und auf ihre Signifikanz testen. So können Lokaljournalisten Zusammenhänge in Daten nachweisen und neue Erkenntnisse gewinnen, die sich mitunter nicht direkt an Schaubildern ablesen lassen. Die offiziellen Veröffentlichungen des Programms sind sehr aufwendig zu installieren, auf der Webseite des Entwicklerprojekts sind aber ausführbare Versionen, deren Installation unkompliziert ist, aufgelistet.
Mit Tabellenkalkulationsprogrammen, etwa von Open Office, Libre Office oder Microsoft Office, lassen sich Datentabellen ebenfalls auswerten. Mit den Funktionen oder Formeln genannten Befehlen lassen sich statistische Kennzahlen berechnen, Signifikanztests durchführen und vieles mehr. Die Bedienung ist schwieriger als bei PSPP, für kleinere Datenanalysen bieten sich diese Programme jedoch an, da auf den meisten Computern eine Tabellenkalkulation installiert ist.
Stolperfallen
- Sind die Rohdaten korrekt?
- Sind unterschiedliche Datensätze vergleichbar? Vorsicht etwa vor der Verbindung von Wahlergebnissen und Umfrageergebnissen zu einer Zeitleiste.
- Ist die Darstellungsform sinnvoll?
- Ist die Darstellung korrekt und unverzerrt?
Praxisbeispiele:
Unter interaktiv.morgenpost.de finden sich die datenjournalistischen Konzepte der Berliner Morgenpost. Zur Wahl des Abgeordnetenhaus Berlins hat die Zeitung viele Daten ausgewertet, so gibt es etwa Karten und Diagramme, welche die Distanz zwischen Wohnort und Wahlbezirk der Abgeordneten darstellen. Gelungen ist auch der „Zugezogenen-Atlas“, den die Berliner Morgenpost im Januar 2016 veröffentlichte. Auf einer Weltkarte werden hier die Geburtstorte der Berliner Einwohner grafisch dargestellt.
Auf Schwäbische.de haben Simon Haas und Marco Weiß interaktive Karten zu Unfallschwerpunkten in der Region erstellt. Die grafische Aufarbeitung der Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg von Marco Weiß hat die drehscheibe in der Ausgabe 03-2016 präsentiert. Hier geht es zum Drehbuch.
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