Leichtes Spiel im Wahljahr
von drehscheibe-Redaktion
Idee
Im Januar 2017 veröffentlichte die New York Times mehrere interaktive Grafiken zur Entwicklung von statistischen Werten wie Arbeitslosigkeit, Ausgaben für das Gesundheitssystem oder Kriminalität während der Amtszeit Barack Obamas. Der Clou dabei: Die Nutzer konnten selbst überlegen, wie die Grafik aussehen könnte, und die geschätzte Verlaufslinie in das Diagramm einzeichnen. Im Anschluss erschien dann die tatsächliche Statistik. Henning Brinkmann von den Ruhr Nachrichten entdeckte den Beitrag damals auf Twitter. Einer der Grafiker, Adam Pearce, hatte nicht nur den Artikel gepostet, sondern auch den entsprechenden Code dazu. Brinkmann gefiel die Idee, er suchte sich einen Programmierer, der den Code für die Zeitung anpasste. Er fand ihn in Sakander Zirai, einem Studenten der TU Dortmund.
Umsetzung
Brinkmann wollte, anders als die New York Times, bereits während des Wahlkampfs Statistiken zu Themen, die intensiv diskutiert werden, veröffentlichen. Die Zahl der Einbruchsversuche sei ein solches spezifisches Thema in Nordrhein-Westfalen, bei dem sich die Parteien um die Deutungshoheit stritten. Aber auch das Wirtschaftswachstum sei ein heiß diskutiertes Thema in Nordrhein-Westfalen. Dazu wollte er einen statistischen Überblick bieten. Zirai übernahm die technische Umsetzung. „Der Code von Pearce ist eher eine grobe Skizze als ein fertiges Produkt“, erzählt Zirai. Neben Designänderungen habe er auch innere Mechaniken anpassen müssen, „vor allem die Integration in eine Art Framework, welches erlaubt, mehrere solcher Visualisierungen einfach zu produzieren“. Diese Wiederverwendbarkeit sei eine der Anforderungen der Redaktion gewesen.
Dreh
„Liniendiagramme sind eigentlich ziemlich langweilig“, bemerkt Brinkmann. Anders sei es, wenn die Nutzer ihre eigene Meinung ins Spiel bringen könnten. „Da kommt ein spielerischer Aspekt hinzu. Man kann die Menschen bei ihrer Meinung abholen und sie mit den Zahlen konfrontieren.“ Auf diese Weise lade man sie ein, gefühlte Wahrheiten zu hinterfragen und sich mit Statistiken auseinanderzusetzen. Er glaubt an einen Trend, „weg von aufwendigen, aber passiven Visualisierungen“, hin zu Gamification, um Menschen nüchterne Fakten schmackhaft zu machen.
Reaktionen
„Es gab viele Leute, die das positiv sahen, aber natürlich gab es auch Kritik, vor allem bei der Themenauswahl“, sagt Brinkmann. Manche hätten sich lieber Grafiken zu Themenkomplexen wie Gerechtigkeit gewünscht, das sei jedoch nicht so leicht darzustellen.
Aussicht
Brinkmann sieht in den interaktiven Diagrammen großes Potenzial. Einerseits könne er sich diese für die Bundestagswahl vorstellen, anderseits „könnte man das gut auf die lokale Ebene herunterbrechen“. Die einzelnen Lokalredaktionen der Ruhr Nachrichten könnten das Programm für kommunale Geschichten nutzen. „Einmal programmiert, benötigt man dafür nicht viel Mehraufwand“, meint der Redakteur. Auch erweitern ließen sich in Zukunft die Grafiken. Man könnte, erklärt er, etwa die Eingaben der Nutzer auswerten und „gefühlte Statistiken“ aus den Eingaben der Nutzer erstellen. Auch mehr Feedback an die Nutzer kann sich Brinkmann gut vorstellen. „Die Nutzer könnten in Zukunft etwa angezeigt bekommen, wie gut sie sich im Vergleich zu anderen Nutzern geschlagen haben“, überlegt er. Natürlich müsse man im Vorfeld über die anonymisierte Verwendung der eingegebenen Daten informieren.
Hintergrund
Der JavaScript-Code für die interaktiven Schaubilder ist unter der MIT-Lizenz für Software zur Weiterverwendung freigegeben und für die Datenbank D3.js geschrieben. Mehrere Medien haben die Idee bereits aufgegriffen, darunter die französische Tageszeitung Le Monde und der WDR. Sakander Zirai betont: „Wenn man nichts verändert, ist der Code nicht wirklich brauchbar.“ Er selbst habe zweieinhalb Tage Arbeit für die Umsetzung aufgewandt. Der bearbeitete Code der Ruhr Nachrichten und des WDR sei jedoch „auch ohne tiefere JavaScript-Kenntnisse benutzbar“, erklärt er.
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