Interview

„Wahlergebnisse sind sensible Daten“

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Philipp David Pries ist Leiter des Datenjournalismus-Teams bei Ippen.Media.
Philipp David Pries ist Leiter des Datenjournalismus-Teams bei Ippen.Media.

Bei der Bundestagswahl 2021 hat Ippen.Media sämtliche Wahlergebnisse der rund 11.000 Gemeinden in Deutschland recherchiert und gebündelt aufbereitet. Philipp David Pries, Leiter des Datenjournalismus-Teams erklärt, welcher Aufwand dahinter steckt.

Herr Pries, welche Idee stand hinter dem Datenjournalismus-Projekt?

Wir legen schon lange einen großen Fokus auf Wahlen. Weil wir es für die Meinungsbildung und für den politischen Prozess enorm wichtig finden. Deswegen haben wir beispielsweise auch schon bei den Kommunalwahlen 2020 in Bayern einen sehr großen Aufwand bei Datenprojekten getrieben.

Für die Bundestagswahl haben Sie dann eine interaktive Karte für ganz Deutschland gebaut.

Unsere Vision war, auf einer zentralen Landkarte ein genaues Gesamtbild der Bundestagswahlen zu bieten, und das in einem Detailgrad, wie es das anderswo nicht gibt. Dafür mussten wir alle Ergebnisse aus 299 Wahlkreisen und ungefähr 11.000 Gemeinden aufwendig sammeln, sowohl von Erst- und Zweitstimme.

Erhält man nicht alle Wahlergebnisse ganz einfach beim Bundeswahlleiter?

Beim Bundeswahlleiter bekommen Sie bei Bundestagswahlen die Daten bis runter auf Wahlkreisebene. Aber während der Wahl nichts, was darüber hinaus in die Ebene der einzelnen Gemeinden oder gar Wahlbezirke geht. Das sind aber die Ergebnisse, die für unsere Leserinnen und Leser am spannendsten sind. Wir mussten also, um feinere Ergebnisse zu haben, einen erweiterten Beschaffungsaufwand betreiben.

Wo bekamen Sie die Daten her?

Sie bekommen die Daten fast ausschließlich von den einzelnen Landesämtern oder Wahlverwaltungs-Tools. Die haben jeweils einen eigenen Datenkanal. Wir mussten also jedes Bundesland einzeln anschauen und klären, wie wir am Wahlabend zeitnah an die richtigen Daten kommen. Insgesamt mussten wir 14 verschiedene Datenquellen berücksichtigen. Zusätzlich mussten wir hunderte Ergebnisse, die nicht digital verfügbar waren, noch telefonisch recherchieren.

Warum wollten Sie die Ergebnisse so kleinteilig haben?

Weil sich vieles in den unteren Ebenen noch präziser oder ganz anders zeigt. Ein Beispiel: In Mecklenburg-Vorpommern sehen Sie Wahlkreise, die sind alle SPD-rot. Wenn Sie sich aber anschauen, wer auf Gemeindeebene jeweils die stärkste Partei war, dann werden Sie da viele blaue AfD-Flecken sehen. Das zeigt dort und an vielen anderen Stellen, dass sich die wahre Stimmungslage durch die Wahlkreiskarten oft nur unvollständig offenbart.

Wie lange dauerten die Vorbereitungen?

Wir mussten 14 verschiedene Datenquellen vereinheitlichen, so dass sie einen zentralen Datenschatz ergeben. Die Ergebnisse mussten wir bündeln und mit einer interaktiven Karte in Verbindung bringen. Das allein ist schon anspruchsvoll. Wir haben ein halbes Jahr vorher mit dem Projekt angefangen.

Wie groß war Ihr Team?

Bei dem Wahlprojekt waren zu Spitzenzeiten zehn Leute involviert. Im Kernteam zwei Datenjournalisten und ein Entwickler. Bei der Umsetzung waren mehrere redaktionelle Teams und Designer beteiligt.

Was waren die größten Hürden?

Zum einen die unterschiedliche Datenlage und die Eigenheiten der einzelnen Bundesländer. Teilweise werden Wahlbezirke zusammengefasst, die Briefwahlstimmen werden mal separat ausgewiesen, mal nicht. Eine große Herausforderung war, dass alle Prozesse am Wahlsonntag um 18 Uhr funktionieren mussten. Dass das Projekt quasi in Echtzeit ablief, steigerte die Komplexität enorm.

Und Sie durften keine Fehler machen.

Wahlergebnisse sind sensible Daten, die einfach stimmen müssen. Daran orientieren sich die Leute. Auf dem Weg von der Quelle des Wahlergebnisses bis zu unserer Wahldaten-Karte gibt es eine Reihe von Stationen und Prozessen, wo etwas schief gehen könnte. Wir haben deshalb viele Prüfmechanismen entwickelt, um sicherzugehen, dass nur vollständige und korrekte Wahlergebnisse ausgegeben werden.

Das Ganze wurde ja dann nicht nur als Karte präsentiert.

Natürlich ist die interaktive Karte der zentrale Baustein des Projekts. Sie wurde auf insgesamt 80 Portalen von Ippen.Media ausgespielt. Wir waren nach unserer Beobachtung das einzige deutsche Medium, das die Daten so umfangreich aggregiert und aufbereitet hat. Auch von offizieller Seite gab es keine so detaillierte Karte. Aber mindestens ebenso wichtig war die journalistische Begleitung, also die Geschichten hinter den Daten. In zahlreichen Artikeln haben wir die Ergebnisse analysiert und eingeordnet und damit unseren Beitrag zu demokratischer Transparenz geleistet.

Hat sich aus ihrer Sicht der Aufwand gelohnt?

Gelohnt hat sich das auf jeden Fall. Zum einen bekamen wir erstaunlich viele und sehr viel positive Rückmeldungen von Leserinnen und Lesern. Zum zweiten haben wir einem Dutzend Universitäten die Rohdaten für ihre Forschungen zur Verfügung gestellt. Das dritte ist rein quantitativ. Ich kann sagen, dass die Karte im Wahlzeitraum mehr als 20 Millionen Aufrufe hatte. Da sieht man, dass das wirklich sehr gut angenommen wurde.

Sind solche Projekte in kleinerem Rahmen auch für Lokalredaktionen machbar?

Man kann auch mit wesentlich geringerem Aufwand ziemlich viel erreichen. Zum Beispiel für eine Oberbürgermeisterwahl. Da sind die technischen Hürden gesunken, es gibt Tools, die frei verfügbar sind. Es gibt viele Möglichkeiten, um zu einer attraktiven Darstellung zu kommen, die nichts kostet. Die Frage ist lediglich, ob man bereit ist, in Zeit und Kompetenzen für solche Arbeiten zu investieren.

Link:

Hier geht's zur Wahlkarte.

Zum Datenjournalismus-Team


Das Team:
Bei IPPEN.MEDIA in München arbeitet ein fünfköpfiges Datenjournalismus-Team. Unter der Leitung von Philipp David Pries entstehen hier datenbasierte Geschichten und Infografiken. Diese werden produziert für und mit allen 80 Portalen der IPPEN.MEDIA - vom Münchner Merkur im Süden über die Frankfurter Rundschau in Hessen bis hin zur Kreiszeitung im Norden. Eines der Team-Schwerpunkte sind Wahlen.

Kontakt:

E-Mail: philipp.pries@redaktion.ippen.media

Philipp David Pries

leitet das Datenjournalismus-Team bei Ippen.Media.

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