Wo hört der Spaß auf?
von Antonia Eichenauer
„Egal, was wir sagen, wir sind immer die Lügenpresse.“
Alexander Böhm berichtet als freier Journalist regelmäßig über Legida-Demonstrationen.
Nahezu täglich finden rechtspopulistische Äußerungen ihren Weg in die Öffentlichkeit. Fremdenfeindliche Stimmen werden lauter, die Debatte um Zuwanderung wird hitziger.
Wie geht man mit diesem Vorwurf um? Wie kann es Zeitungen gelingen, dass ihnen – besonders vor Wahlen – wieder mehr Vertrauen geschenkt wird? Die drehscheibe setzt sich in diesem Rechercheleitfaden mit dem Thema Rechtsextremismus und –Populismus auseinander. Mit dieser Übersicht wollen wir den Anfang einer intensiven Recherche begleiten.
Interview mit Prof. Dr. Fabian Virchow
Was ist Extremismus?
Da gibt es im Prinzip zwei Perspektiven. Das ist auf der einen Seite die Perspektive der Behörden. Sie gebrauchen den Begriff, um all jene Einstellungen und Aktivitäten zu bezeichnen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik richten. Auf der anderen Seite gibt es den sozialwissenschaftlichen Begriff Extremismus. Er nimmt auch rassistische oder extrem rechte Einstellungen, die soziologisch gesehen in der Mitte der Gesellschaft auftauchen, in den Blick.
Was ist Populismus?
Populismus kann ebenfalls zwei Dinge meinen. Die Einen verstehen darunter vor allem einen politischen Stil, in dem sehr emotionalisiert wird oder sehr vereinfacht politische Kritik vorgetragen wird. Andere sehen in Populismus auch ein inhaltliches Element. Das funktioniert in der Regel über Gegenüberstellungen. Der Begriff bedient in diesem Fall sowohl die Kritik gegenüber „denen da oben“ und gleichzeitig gegenüber den Fremden.
Welche Aufgabe kommt Lokaljournalisten in diesem Zusammenhang zu?
Es geht darum, Aussagen von Politikern auf Faktentreue zu prüfen. Also zu fragen, stimmt das eigentlich? Und dann geht es meines Erachtens sicherlich auch darum, dass man bewertet, was passiert. Ich denke, auch das ist eine Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten.
Worauf sollten Lokaljournalisten Acht geben?
Journalistinnen und Journalisten sollten sich nicht instrumentalisieren lassen. Ein aktuelles Phänomen sind zum Beispiel die Identitären, die spektakuläre Aktionen machen. Sie planen ihre Aktionen häufig so, dass sie der Medienlogik entsprechen. So versuchen sie zum Beispiel, schöne Bilder zu produzieren, mit denen sie in die Zeitung oder ins Fernsehen kommen. Die Besetzung des Brandenburger Tors war so eine Aktion. Damit haben sie es auch tatsächlich auf die Titelseiten vieler Zeitungen geschafft. Mir geht es in erster Linie darum, dass man sich dessen bewusst ist, dass auch solche Akteure ein ausgefeiltes Medienhandeln haben. Journalistinnen oder Journalisten müssen überlegen, ob sie sich dafür benutzen lassen oder daraus eine fünfzeilige Meldung machen und an anderer Stelle einen ausführlichen Hintergrundbericht veröffentlichen.
Sie hätten diese Aktion am Brandenburger Tor also nicht auf die Titelseite gelegt?
Genau. Wenn ich so auf die letzten Monate zurückblicke, hat diese Gruppierung, die zugegebener Maßen im letzten Jahr stärker in Deutschland aktiv ist, in verschiedenen Tageszeitungen halb- bis ganzseitige Berichte gehabt. Die haben also richtig gut Werbung bekommen. Ich glaube, da wäre ein bisschen weniger Berichterstattung besser gewesen. Nicht in dem Sinne, dass man das Phänomen verschweigt, sondern dass man schaut, was eigentlich von der Relation her, von der wirklichen Bedeutung her angemessen gewesen wäre.
(Anmerkung der Redaktion: Die Bewegung hat in Deutschland ca. 400 Anhänger)
Wo und wie lässt sich gut zu dem Thema Extremismus / Populismus recherchieren?
Ein Großteil der Recherche erfolgt ja mittlerweile im Internet. Da muss man genauso kritisch die Quellen betrachten, wie in der traditionellen Recherche. Grundsätzlich kann man sich an Behörden wenden. Je nach Frage gibt es da verschiedene. Wenn es um einen konkreten Vorfall geht, um etwas, das vielleicht auch strafrechtlich relevant ist, ist nach wie vor die Polizei die erste Ansprechpartnerin. Man kann sich aber auch an zivilgesellschaftliche Akteure wenden oder in der Forschung nachfragen. Bei rassistischer Gewalt sollte man sich, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Respekts und Mitgefühls, an Betroffene rechter Gewalt wenden.
Prof. Dr. Fabian Virchow
Leiter des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf
Tel.: 0211 - 811 46 25
Mail: forena@fh-duesseldorf.de
Web: www.forena.de
Ansprechpartner
Prof. Dr. Fabian Virchow empfiehlt folgende Einrichtungen und Initiativen:
- Institut für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung der Universität Bielefeld
- Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ), Universität Potsdam
- Kompetenzzentrum Rechtsextremismus der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eine Liste der Experten des Kompetenzzentrums mit Kontaktdaten gibt es hier.
- Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig
- Auf der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban haben sich die Staaten dazu verpflichtet, nationale Aktionspläne gegen Rassismus auszuarbeiten.
- Den nationalen Aktionsplan gibt es als PDF auf der Webseite des deutschen Insituts für Menschenrechte
- Europäische Städte-Koalition gegen Rassismus e.V.
- Die Mitglieder der Koalition sind hier auf der Webseite der Unesco aufgelistet
- Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus
- Bundeszentrale für politische Bildung und Landeszentralen für politische Bildung
Literaturempfehlungen
Auch wenn der Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Deutschland in den letzten Jahren deutlich präsenter war, sollten andere Ausprägungen von Extremismus nicht unter den Tisch fallen. Die Bundeszentrale für politische Bidlung hat ein ausführliches Dossier zu sämtlichen Ausprägungen von Extremismus gemacht.
- Einstieg: In einem Video streiten Wissenschaftler darüber, was Extremismus ist.
- Vertiefung: Das Dossier Extremismus bietet einen theoretischen Überblick.
- Spezialisierung: Ein Dossier der Bundeszentrale widmet sich ausschließlich dem Rechtsextremismus.
- Handeln: Wie allgemein Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit begegnet werden kann, beleuchtet die „...begegnen!“-Reihe der Bundeszentrale.
Wie es direkt vor Ort aussieht lässt sich in Teilen aus dem Verfassungsschutzbericht ablesen. Dort sind all die Gruppierungen und Parteien verzeichnet, die aus Sicht des Verfassungsschutzes verfassungsgefährdend sind. Der Bericht wird im einmal im Jahr veröffentlicht und ist frei einsehbar.
Eine Studie speziell zur AfD heißt „Erfurt ist schön deutsch – und schön deutsch soll Erfurt bleiben“. Darin wird das politische Erscheinungsbild der Alternative für Deutschland analysiert. Entstehungsgeschichte und Personalien spielen ebenso eine Rolle wie die Wahlergebnisse und das politische Programm der Partei. Herausgegeben wird die Studie von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die „Mitte“-Studien werden im Zweijahresrhythmus von einer Arbeitsgemeinschaft der Universität Leipzig mit der Unterstützung wechselnder Stiftungen veröffentlicht. In den sozialwissenschaftlichen Studien werden individuelle Vorurteile und autoritäre Orientierungen in der Mitte der Gesellschaft in den Blick genommen. Die Studien stoßen damit seit 2002 die Debatte um rechte Einstellungen an, stehen allerdings regelmäßig auch selbst in der Kritik.
Zum Download von "Die enthemmte Mitte – Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland" von Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brähler. Psychosozial Verlag, Leipzig 2016.
Mit dem Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe, herausgegeben vom Wochenschau Verlag, haben Journalisten ein Buch zur Hand, mit dem sie über die Sprache rechtsextreme oder rechtspopulistische Haltungen identifizieren können. Das Buch unterstützt so das Bauchgefühl.
Bente Gießelmann/Robin Heun/Benjamin Kerst/Leonard Suermann/Fabian Virchow (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Schwalbach/Ts. 2016 (Wochenschau-Verlag). 364 S. , ISBN 978-3-7344-0155-8, 24,80 Euro.
Watchblogs
www.jugendschutz.net/rechtsextremismus
Die zentrale Stelle der Länder für Jugendschutz im Internet betreibt mit Jugendschutz.net eine Onlineplattform, die sich umfassend mit extremistischen Tendenzen und Vereinigungen im Netz auseinandersetzt. Das Projekt wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.
Bei Hass im Netz handelt es sich um ein zusätzliches Informationsangebot von Jugendschutz.net. Dort sind aktuelle Rechercheberichte und Studien zu den Aktivitäten der NPD und anderer Gruppierungen aus dem rechtsextremen Spektrum aufgeführt. Auch mit den Aktivitäten von Islamisten im Internet.
www.netz-gegen-nazis.de
www.facebook.com/netzgegennaz
Die Seite Netz-gegen-Nazis.de wurde im Jahr 2008 vom Zeitverlag und verschiedenen Sport- und Berufsverbänden ins Leben gerufen und wird von der Amadeu Antonio Stiftung verantwortet. Sie bietet ein umfassendes Lexikon, redaktionelle Beiträge und eine aktuelle Presseschau.
Blick nach rechts ist ein Informationsportal, das die rechtsextremen Aktivitäten in Deutschland dokumentiert. Damit möchte es die Leser bestmöglich informieren und so den Rechtsextremismus aktiv bekämpfen. Blick nach rechts gehört zum vorwärts-Verlag.
Die Bundeszentrale für politische Bildung führt einen Initiativenblog, auf dem Initiativen gegen extreme Rechte, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und andere gruppenbezogene Abwertungen vorgestellt werden. Er wird laufend aktualisiert.
Die Initiativen gegen Rechtsextremismus lassen sich auch einer Datenbank finden.
Umgang mit Rechtsextremismus und –Populismus in den Medien
Totschweigen oder zur Debatte stellen? Kleine Randmeldung oder großer Bericht? Dr. Fabian Virchow hat im Interview seine Einschätzung zu einem sinnvollen Umgang mit rechtspopulistischen Gruppierungen gegeben.
Auf Krautreporter.de wurde sich damit auseinandergesetzt, warum Populisten so präsent in den Medien sind. Christian Fahrenbach zieht einen Vergleich zwischen Donald Trump und der AfD, amerikanischen und deutschen Medien. Rico Grimm hat ebenfalls für Krautreporter zusammengestellt, welche Texte ihm geholfen haben, die neuen Rechten zu verstehen:
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