„Corona schlägt alles“
von Stefan Wirner
Wir halten Kontakt: Holger Knöferl von der Badischen Zeitung über Journalismus in der Pandemie, digitale Talkformate und konträre Leserwünsche.
Herr Knöferl, wie läuft bei der Badischen Zeitung das Arbeiten in der Pandemie?
Wir stehen inhaltlich gut da und sind mit dem Ergebnis zufrieden, aber die Prozesse sind kompliziert. Wir haben – wie viele andere Redaktionen auch – gelernt, wie man im Homeoffice gut und effektiv arbeitet, wie man sich vernetzt und digitale Tools nutzt, aber nichtsdestotrotz lebt Journalismus vom Austausch, von der Diskussion und der schnellen Absprache, und das gestaltet sich nach wie vor schwierig. An ganz normalen Nachrichtentagen kommen wir gut damit klar, aber wenn wir Breaking News oder Sondersituationen haben, dann stoßen wir zuweilen an die Grenzen dessen, was wir leisten können.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
In der vergangenen Woche etwa wurden an mehreren Standorten in unserem Verbreitungsgebiet Mutanten des Corona-Virus entdeckt. Das dann für eine Regionalzeitung ordentlich miteinander zu verknüpfen, für den Mantel zu klammern, zu koordinieren, was in welchem Lokalteil läuft, das ist schon eine Herausforderung.
Haben Sie im vergangenen Jahr redaktionelle Strukturen umgebaut?
Wir haben gleich zu Beginn der ersten Lockdown-Phase schnell reagiert und die Zahl unserer Ausgaben deutlich reduziert. Wir sind von 21 auf zwölf Lokalausgaben heruntergegangen. Die inhaltlichen Zuschnitte dieser Ausgaben haben wir stärker regionalisiert, aber daran hatten wir sowieso schon seit eineinhalb Jahren gearbeitet. Hintergrund der Reduzierung war, dass wir gesehen haben, wie dramatisch das Nachrichtengeschehen im Lokalen zusammenbrach. Dadurch, dass wir darauf vorbereitet waren, mussten wir nicht auf die Schnelle und willkürlich Ausgaben zusammenlegen, sondern es hatte Hand und Fuß, und es stand ein inhaltliches Konzept dahinter. Vorher hatten wir noch viele klassische Seiten, bei denen ein Raumschaftsname drüberstand, da floss dann das ganze Material rein. So ein Thema wie das Impfen hätten wir früher für jede Raumschaftsseite einzeln gemacht, heute klammern wir das für eine ganze Region. Das ist viel effizienter und auch näher dran an der Lebensrealität der Menschen, die ja auch nicht an der Haustür endet.
Wollen die Leute überhaupt noch etwas über Corona lesen oder ist es ihnen längst zu viel?
Die Zahlen im Digitalen zeigen: Corona schlägt alles. Insbesondere serviceorientierte Themen laufen: Wo ist das Impfzentrum, wie komme ich dahin? Unser erster Artikel über das Auftreten der Mutante im Verbreitungsgebiet wurde innerhalb von zwölf Stunden über 300.000 Mal aufgerufen. Solche Werte haben wir so noch nie gehabt.
Stehen bei Ihnen auch die Corona-Servicethemen vor der Paywall?
Ja, alles, was die Leute über das Thema wissen müssen. Das ist auch in unseren Corona-Tickern verankert.
In Baden-Württemberg scheint die Querdenker-Bewegung stark verwurzelt zu sein. Bekommen Sie das zu spüren?
Ja. Wir haben einzelne Hotspots, wo die Szene besonders stark ist, zum Beispiel die anthroposophische. Da spüren wir zum Teil heftigen Gegenwind. Vor ein paar Wochen brachten wir zum Beispiel eine große Reportage über einen Arzt, der Gefälligkeitsatteste ausstellt, damit die Leute keine Maske tragen müssen. Der Artikel hat dann für entsprechenden Wirbel gesorgt. Es gab zustimmende und ablehnende Reaktionen auf allen Kanälen, zahlreiche Leserbriefe, Diskussionen in unserem Online-Forum, in sozialen Netzwerken. Und es gab auch eine Handvoll Abbestellungen von Kritikern unserer Vorgehensweise.
Haben Sie eine Leitlinie, wie Sie damit umgehen?
Leitlinien sind im Journalismus ein schwieriges Thema. Da, wo klare Grenzen überschritten werden, wo wir eine falsche Tatsachenbehauptung identifizieren können, ist die Sache einfach. Aber Journalismus ist oft nicht schwarz oder weiß, sondern meist vielfältig und bunt. Da muss man im Einzelfall entscheiden und abwägen. Wir würden zum Beispiel nicht sagen, dass wir Positionen von Querdenkern oder Corona-Leugnern per se nicht ins Blatt nehmen. Wir würden uns fragen: Brauchen unsere Leser die Information, um sich selbst eine Meinung bilden zu können? Wir muten den Leuten schon auch etwas zu, und dann schreiben uns Leser, dass sie keine Artikel über Demos gegen die Corona-Maßnahmen lesen wollen, wo auf dem Foto jemand ein Schild hochhält, auf dem steht: „Es gibt keine Pandemie.“ Manche wollen kein Interview lesen mit einem Bundestagsabgeordneten der AfD, der mit einer löcherigen Maske im Bundestag saß und dann selber schwer an Corona erkrankte. Als er wieder genesen war, haben wir ihn gefragt, ob er jetzt immer noch der Auffassung ist, dass es Corona nicht gibt. Er meinte, die Corona-Erkrankung sei Teil des Lebensrisikos. Es gibt Leute, die so etwas nicht lesen wollen. Aber wir sind der Meinung, dass es eine Nachricht ist und wir uns darum kümmern müssen.
Sie arbeiten verstärkt mit Videos und einem Talk-Format. Worum geht es dabei?
Wir haben in den vergangenen Jahren viele Veranstaltungsformate etabliert. Wir bieten zum Beispiel zu kommunalpolitischen Themen Podiumsdiskussionen an, etwa wenn Bürgermeisterwahlen stattfinden. Diese Veranstaltungen werden enorm nachgefragt. Aber das ist derzeit alles nicht möglich. Im ersten Lockdown hatten wir zwei Oberbürgermeisterwahlen, da haben wir Talks noch live gestreamt mit Kamerateams usw. Wir haben dann aber festgestellt, dass Zoom ein sehr starkes Tool ist. Wir nutzen es als öffentliche Gesprächsplattform – für virtuelle Podien, Fachgespräche –, die wir dann live auf YouTube streamen. Bei der Bürgermeisterwahl in dem kleinen Ort Oberried haben 500, 600 Leute live zugesehen – bei knapp 3.000 Einwohnern. Insgesamt wurde das 2.800 Mal angesehen. Wir sprechen mit Fachkräften aus der Corona-Intensivstation, wir sprechen mit Künstlern oder veranstalten virtuelle Podiumsdiskussionen mit den Landtagskandidaten. Der Aufwand ist extrem gering, die Kosten sind es auch, es ist enorm effektiv. Klar, eine Studio-Optik ist es nicht. Ich sitze da auch in meinem Homeoffice unterm Dach vor der Schrankwand. Aber bei den Leuten kommt es an.
Nutzen Sie das auch für die Berichterstattung vor der Landtagswahl am 14. März?
Wir führen Interviews mit den Kandidaten über Zoom, zeichnen sie auf, und anschließend machen wir einen „Fragenwirbel“, wie wir das nennen. Da stellen wir drei oder vier Minuten lang kurze, schnelle Fragen. Aus dem ganzen Gespräch formen wir einen Printbeitrag und aus dem „Fragenwirbel“ so eine kleine Beigabe, was man schnell gucken kann. Außerdem wollen wir acht Podiumsrunden machen, insbesondere zu den Corona-Folgen.
Die Leidenschaft fürs Lokale scheint nicht unter der schwierigen Lage zu leiden.
Wir haben in der Corona-Krise eine Mitarbeiterbefragung gemacht, die wissenschaftlich begleitet war, um in Erfahrung zu bringen, wie es den Mitarbeitern geht. Dem Satz „Ich empfinde Leidenschaft für meine Arbeit“ stimmten aus den Redaktionen des Badischen Verlags 88,7 Prozent zu. Und da stand niemand hinter einem und sagte: Da musst du das Häkchen machen.
Interview: Stefan Wirner
Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe 3/2021 der drehscheibe.
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