Storytelling Mai 2014
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Frau Schmidt hat die Sparkasse |
Elke Schmidt hat die Sparkasse in Ochsenbach. Die Schalterstunden hält sie im Hobbyraum ihres Mannes. Ihre Buchungsmaschine kann weder Euros noch „2014“. In der skurrilen Geschichte steckt ein großes Thema: der Strukturwandel auf dem Lande. Kathrin Haasis fährt dafür zwei Mal nach Ochsenbach. Sie will Elke Schmidt nämlich auch ohne ihren Regionaldirektor befragen. Aus der Stuttgarter Zeitung vom 17. Januar 2014. (Hinweis: Die Zwischentitel in Klammern gehören nicht zum Text, es sind Kommentare von Marie Lampert.) |
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Die Bank im Hobbyraum
Ziemlich ab vom Schuss: die Filiale der Kreissparkasse Ludwigsburg in Ochsenbach hat keinen Anschluss ans Internet, aber dafür ist deren Leiterin Elke Schmidt im Dorf gut vernetzt (Wortspiel, das später zum Motiv wird). Am Anfang (Implizites Versprechen: am Ende wird es anders sein) hatte sie Angst vor dem Job – wegen des Tresors direkt unterm Schlafzimmer.
Von Kathrin Haasis
Ochsenbach - Elke Schmidt kennt in Ochsenbach jeder. „Ich bin diejenige, wo die Sparkasse hat“, sagt die 62-Jährige (Die Protagonistin stellt sich selbst vor). Wie jeden Werktag sitzt sie hinter einem großen Schreibtisch im Hobbyraum ihres Mannes, wobei ihr Mann dort schon lange keinen Platz mehr für seine Hobbys hat (Hobby(raum)/ Mann: überkreuz gestellt). Die Bank ist vor mehr als einem Vierteljahrhundert in das Zimmer gezogen. Draußen am Haus hängt das Sparkassenzeichen, ein Schild so groß wie ein Briefbogen (Vergleich), am Gartentor sind die Öffnungszeiten eingraviert. Der Weg zum Schalter führt an Blumenbeeten und Tomatenstöcken vorbei. „Ich bin offline, ich bin nicht mehr aktuell“, sagt Elke Schmidt. Ihre Filiale ist genauso ab vom Schuss wie der Sachsenheimer Ortsteil Ochsenbach mit seinen 824 Einwohnern: Sie hat weder Anschluss ans Internet noch an das Kassenprogramm der Kreissparkasse Ludwigsburg (Wie das? fragt sich die Leserin und hat längst angebissen).
„Bitte klingeln“, steht an der Metalltüre zu dem Hobbyraum. Von der Bank hat Elke Schmidt den Einbau eines Spions verlangt. Der Schreibtisch und ein Tresor zählen zur Ausstattung, ein Telefon, ein Fax sowie eine Buchungsmaschine (Die Reihe lässt ein Bild entstehen) der Anker-Werke, die nach 100-jähriger Firmengeschichte 1976 in Konkurs gingen. Die aktuelle Jahreszahl kann man im Gerät nicht mehr einstellen, so weit in die Zukunft war es nicht ausgelegt, und das Euro-Zeichen hat es auch nicht auf dem Kasten (Umgangssprache und Doppelsinn). Dafür war die Anker immer zuverlässig – bis sie kürzlich sperrte. „Aber der Bäbber von Herrn Michel mit seiner Nummer war zum Glück noch drauf“, erzählt Elke Schmidt. „Ganz unten ist ein roter Knopf, drücken Sie den mal“, erklärte ihr der frühere Vertreter am Telefon. „Dabei ist der Herr Michel längst im Ruhestand und bestimmt weit über 70.“ Auf der grauen Maschine kleben ansonsten zwei Osterhasen (Zoom aufs Detail), als Gag, seit einer Ewigkeit.
„In Ochsenbach haben wir eine Ausnahme von der Corporate Identity (Schön fremd in dieser Umgebung) gemacht“, sagt Markus Zimmermann. Eigentlich ist jede Filiale gleich ausgestattet, erklärt der Regionaldirektor (Der Herr für die Fakten – Nebenfigur). 119 Zweigstellen betreibt die Kreissparkasse Ludwigsburg, weil „persönliche Nähe“ zur Strategie des öffentlich-rechtlichen Geldinstituts gehört. An der nördlichen Kreisgrenze befinden sich zwei Sonderfälle: die Hobbyraumfiliale von Ochsenbach und ein Wohnzimmerschalter in Prevorst. In der Nähe von Oberstenfeld versieht die 76-jährige Ilse Oettinger-Fischer das nebenamtliche Bankgeschäft. In anderen Kreisen ist dieses Modell längst ausgelaufen: Die Waiblinger Kollegen schlossen anno 2002 die letzte Zweigstelle dieser Art in Berglen-Bretzenacker, in den Kreisen Esslingen und Böblingen wurden sie schon im Jahrtausend zuvor aufgegeben.
Eine alte Anker-Maschine für die Abrechnungen
„Birgit, komm rein (So schnell ist klar: man kennt sich)“, ruft Elke Schmidt in den Garten hinaus. Einen Stempel will die Frau auf ihr Überweisungsformular sowie Bargeld. „Ich bin heilfroh, dass es dich gibt, Elke“, sagt die Kundin, „sonst müsste ich ständig durch die Gegend fahren.“ Die Sparkassen-Mitarbeiterin kann auch Konten eröffnen oder Daueraufträge einrichten. Mit der Anker-Maschine füllt sie die Ein- und Auszahlungsbelege aus, am Ende des Tages kommt ein Abrechnungsstreifen heraus, zur Kontrolle. Anspruchsvollere Beratungen übernehmen ihre ausgebildeten Kollegen. Als Kontoristin arbeitete Elke Schmidt früher in einer Firma für Blechbearbeitung. „Ich bin wegrationalisiert worden, wie man so sagt.“ Da kam es gelegen, dass ihre Vorgängerin 1986 das Bankgeschäft altershalber aufgab. „Mein Mann (Zweiter Auftritt des vornamenlosen Herrn Schmidt) sagte, mach das“, erzählt sie, „aber so viel Geld im Haus? Dagegen habe ich mich gesträubt.“ Am Anfang schlief sie unruhig im Schlafzimmer direkt über dem Hobbyraum.
Ochsenbach liegt auf einem Bergrücken, an der Dorfstraße reiht sich ein Fachwerkhaus an das nächste (Totale auf das Dorf). Es gibt einen Landgasthof und einen Metzger, der Laden vom Bäcker steht leer, seit er in Rente gegangen ist. Wenn es schneit, bleibt der Bus oft stecken, und es kann ein paar Stunden dauern, bis der Streuwagen den Weg frei gemacht hat. Elke Schmidt hat erlebt, dass Neuzugezogene wieder ihre Sachen packten, ein paar Bauplätze im Ort liegen seit Jahren brach. „Für mich ist es optimal, ich bin hier aufgewachsen“, sagt sie, „aber für alles braucht man ein Auto.“ Ihre beiden Töchter hat es nach Ingersheim und Ulm verschlagen.
Das Haus ihrer Familie ist Baujahr 1837, es war einst eine Schnapsbrennerei. In dem Hobbyraum stehen drei antike Bauernschränke, dafür hat sie ein Faible. „Ich wusste ja, wenn Leute sich neu einrichten wollten“, sagt Elke Schmidt (Das "vernetzt"- Motiv). Sie und ihr Mann sind Mitglieder im örtlichen Turnverein, im Sportverein und bei den Schützen. Im Kindergarten hilft sie bei der Betreuung, die Kleinen bekommen natürlich die „Knax“- Hefte der Kreissparkasse.
Am Puls des Dorfs
Der Regionaldirektor Markus Zimmermann nennt seine Mitarbeiterin „eine Akquisiteurin“. Bevor im Dorf jemand baut, kommt von ihr ein Hinweis an die Kundenberater. Oder wenn ein Haus verkauft wird oder es einen Erbfall gibt (Motiv "noch vernetzter"). Weil die Landwirte früher mehrheitlich zur Volks- und Raiffeisenbank gingen, die am Ort noch eine ordentliche Filiale unterhält, liegt der Marktanteil der Kreissparkasse in Ochsenbach bei 25 Prozent. Das entspricht etwa 200 Konten und reicht nicht für einen Computer mit Verbindung ins weltweite Netz. „So ein Anschluss kostet zwischen 600 und 700 Euro im Monat“, rechnet Markus Zimmermann vor, „dafür ist die Kundenfrequenz hier nicht hoch genug."
Elke Schmidt ist vor allem für die älteren Leute da, die bei ihr die Rente holen, auch Hausbesuche macht sie. Außerdem nutzen die örtlichen Betriebe ihre Dienste. Sie hat vormittags eine Stunde geöffnet und am Abend zwei für die Berufstätigen, außer mittwochs. Es kam noch kein einziges Mal vor, dass sie die Filiale wegen Krankheit nicht öffnen konnte. Nur wenn sie Urlaub hat, bleibt die Türe zum Hobbyraum geschlossen, dann hängt am Gartentor ein Schild. „Manche gehen nach Sachsenheim, wenn sie mit mir nicht können oder nicht wollen, dass ich Einblick habe“, sagt sie. Fremde kommen fast nie vorbei. Früher tauchten mal Sparkassen-Kunden aus Bietigheim-Bissingen bei ihr auf, Leute, die ihren Dispokredit überzogen hatten und hofften, im abgelegenen Ochsenbach Geld zu bekommen. Für solche Fälle nimmt Elke Schmidt jedoch die Bonitätssperrenliste zur Hand.
Der Wandel kommt
Bundesweit unterhalten die Sparkassen etwa 1700 Ein-Person-Filialen – die meisten allerdings gut vernetzt und nicht im Wohnhaus der Angestellten untergebracht. Mit ihren rund 12 600 Filialen stehen die Sparkassen auf Platz zwei hinter den Volks- und Raiffeisenbanken (13 500), was die örtliche Nähe angeht. Insgesamt schrumpfte die Zahl der Bankstellen von 71 700 im Jahr 1995 auf rund 41 500 im Jahr 2009. „Der Trend zum Online-Banking wird sich weiter beschleunigen“, erklärt dazu etwa die Deutsche Bank. Schon heute würden rund die Hälfte der Ludwigsburger Kunden das Internet für ihre Geldgeschäfte nutzen. Für die Beratung reichten zwei Niederlassungen im Kreisgebiet aus. Die Kreissparkasse Werra-Meißner in Nordhessen machte andere Erfahrungen: Nachdem von 40 Zweigstellen die Hälfte geschlossen wurde, ging viel Geschäft verloren. Seit 2009 ist deshalb die Überland-Sparkasse unterwegs, ein Spezial-Lastwagen, der im Turnus zehn Dörfer anfährt.
„Der Nächste, bitte!“, ruft Elke Schmidt in den Garten. Die junge Frau trägt ihr Baby auf dem Arm, sie will ein Überweisungsformular ausfüllen. „Das Online-Banking funktioniert bei mir heute nicht“, sagt sie. Einmal hatte es Elke Schmidt tatsächlich mit einem Bankräuber zu tun, Mitte der 1980er Jahre: Beim Spaziergehen im Wald schoben sie und ihr Mann einem Unbekannten das Auto an. Er kam ihnen seltsam vor. Sie meldeten das Kennzeichen der Polizei, die ihn dadurch erwischte. Der Mann hatte die Sparkasse im Nachbarort überfallen und gerade die Beute vergraben (Skurrile Anekdote als Rausschmeißer). „Wenn ich ängstlich wäre, hätte ich das Geschäft nicht machen können“, sagt Elke Schmidt. Spätestens in drei Jahren geht auch sie in Rente – und mit ihr die Sparkasse in Ochsenbach, vermutet sie. Ihr wird die Arbeit fehlen, das weiß sie jetzt schon, der Leute wegen. „Man sieht sich nicht mehr so im Dorf (Bogen zurück: Am Anfang hatte sie Angst vor dem Job, am Ende wird sie ihn vermissen).“
Wir danken Kathrin Haasis, Martin Stollberg (Fotos) und der Stuttgarter Zeitung für das kostenfreie Überlassen der Rechte.
Die kursivierten Kommentare stammen von Marie Lampert, die den Werkraum Storytelling der ABZV betreut.
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Kathrin Haasis, geboren 1971, schreibt am liebsten über Wein. Aber dann folgt sofort Lokales. In Marburg, Texas, Freiburg und Barcelona studierte sie Politikwissenschaft, Deutsche Literaturgeschichte und Spanisch. Nach dem Volontariat bei der Südwest Presse in Ulm ging sie zu den Stuttgarter Nachrichten. Zwischen 2002 und 2011 arbeitete sie selbstständig, seitdem ist sie wieder Redakteurin der Stuttgarter Zeitung. |
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