Storytelling Oktober 2013 Kommentar

files/drehscheibe/Themen/Interviews/Martin_Schulz_online_neu.jpg

Bad Lauchstädt erleben und staunen

Kai Kollenberg gestaltet seine Stromstory mit markanten Figuren, sinnlichen Szenen, klarem Aufbau und starken Verben. Eine Analyse von Marie Lampert.

Die Helden


Kai Kollenberg macht seine Leser mit drei Menschen aus Bad Lauchstädt bekannt. Mit Herrn Deutschbein, der seinen Garten zeigt, Herrn Schmädicke, der seinen Zaun streicht, und mit der Bürgermeisterin Frau Niewiadoma. Die Männer repräsentieren die Bürger, die OB das offizielle Bad Lauchstädt.

Der Ort

Bad Lauchstädt ist die Bühne, auf der etwas geschieht, das Spielfeld der Handlung. Der Autor skizziert ein Bühnenbild, das Brigitte Seibold nach der Textvorlage gezeichnet hat. Man sieht Strommasten, einen Garten, das Goethetheater und ein Rathaus. Doch auf den Einsatz der dramatischen Handlung wartet das Publikum vergebens. Die Bürger des Ortes denken nicht daran, sich wegen Elektrosmogs zu beunruhigen, zu protestieren oder sich mit den möglichen Folgen der Energiewende für ihre unmittelbare Nachbarschaft zu befassen. Kai Kollenberg erzählt seinen Lesern, was nicht geschieht.

Die Handlung


Wenn nichts geschieht in Bad Lauchstädt, und die Helden nicht handeln (vom Rasenmähen und Zaunstreichen abgesehen), worin besteht dann das Vorher-Nachher der Geschichte? Der Autor nimmt die Leser mit auf einen Stadtrundgang und zeigt verschiedene Sehenswürdigkeiten: Einen Garten, das Theater, einen Lattenzaun, den Marktplatz. Auch ein Kuriosum hat er zu bieten: Die Stehfrisur beim Kaffeeklatsch. Nach dem Rundgang hat man ein Bild: So also ist das in Bad Lauchstädt. Das Vorher-Nachher besteht im Erkenntnisprozess der Leser.

Die Form


Kai Kollenberg gibt seinem Text einen klaren Aufbau. Den Rahmen bildet ein szenischer Einstieg (mit Kribbeln) in Herrn Deutschbeins Garten und der szenische Ausstieg mit Herrn Deutschbein (es kribbelt wieder/ immer noch). Die Absätze mit Hintergrund-Informationen zur Strompolitik allgemein bettet er ein zwischen Szenen/Personen und Ansichten von und in Bad Lauchstädt.

  • (1) Gerhard Deutschbein in seinem Garten
  • (2) Wohnblock und Hochspannungskabel
  • (3) Goethe und das Theater / Ilse Niewiadoma
  • (4) Planung der Stromautobahnen / Der Strom surrt
  • (5) Lauchstädter finden Hochspannung normal / Ilse Niewiadoma
  • (6) Strom-Entwicklungsplan, Bundesnetzagentur, Wutbürger
  • (7) Rüdiger Schmädicke streicht seinen Zaun
  • (8) Streit um Quarzit-Quader auf dem Marktplatz
  • (9) Gerhard Deutschbein in seinem Garten

Der Autor


Kai Kollenberg staunt über die Bad Lauchstädter und ihren Gleichmut. Er erzählt plastisch, lebendig, man wundert sich mit ihm. Und möchte mehr wissen: Wie gibt‘s denn so was? Was ist denn mit denen los? Kollenberg bleibt in der Rolle des Beobachters, er versagt sich eine Wertung und den Lesern eine Antwort. Sie müssen oder dürfen sich selbst einen Reim machen.

Die Sprache


ist, wie sie sein soll: Wo möglich, einfache Worte. Sinnliche, konkrete Begriffe. Verständliche Sätze, eher kurz. Starke Verben wie kribbeln, steigen, kriegen, aufrichten, jucken, gehen, merken, schlagen, streifen, halten, erschrecken, funktionieren, umschließen, liegen, bewohnen, gucken, sehen, schießen, bestellen, spüren, strahlen, kribbeln, zwicken, entladen, ignorieren, lernen, leben, stören, überragen, sein. Das sind die Verben aus den ersten zwei Absätzen in der Reihenfolge ihres Auftretens. Nur mal so zum Beispiel.

Die Leser führen



Fotos und die Überschrift („Unterm Strom“) führen Leser pfeilgerade ins Thema. Der Lead nennt sofort den Anlass und die Relevanz des Themas: „Drei große Stromautobahnen sollen Deutschland fit machen für die Energiewende.“
Die Grafik links unten zeigt die Konzepte und Korridore für neue Stromautobahnen bis 2022. In der Spalte rechts informieren Kästen über die Stichworte „Elektrosmog“ und „Stromautobahnen“. Das ist übersichtlich, einladend, ausgesprochen lesefreundlich.

 

files/drehscheibe/Themen/Interviews/Martin_Schulz_online_neu.jpg

Marie Lampert arbeitet selbständig u. a. für die ABZV als Dozentin, Seminarleiterin und Redakteurin. Sie betreut den Werkraum Storytelling der ABZV. Im Jahr 2012 erschien ihr Lehrbuch „Storytelling für Journalisten“ in zweiter Auflage (Co-Autor: Rolf Wespe). www.marielampert.de

files/drehscheibe/Themen/Interviews/Martin_Schulz_online_neu.jpg

Brigitte Seibold, Diplom-Ingenieurin und Erwachsenenpädagogin, arbeitet als selbständige Trainerin, Beraterin und Prozessbegleiterin. Sie ist darauf spezialisiert, das Potenzial von Visualisierung in der Arbeit mit Menschen und Organisationen zu nutzen. www.prozessbilder.de

Kommentare

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.