Storytelling Oktober 2013 Making-of

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„Ritt auf der Rasierklinge“

Elisabeth Schmidt-Landenberger spricht mit Kai Kollenberg über seinen Text „Unterm Strom“.

Herr Kollenberg, vorab: Darf der Held eines Textes Deutschbein heißen? Wir nehmen an, Sie haben den Namen nicht erfunden?


Natürlich nicht. Ich finde, er ist ein richtiger Glücksfall. Erstens ist er wirklich auffällig, und zweitens wirft er gleich zu Beginn ein Licht auf das Skurrile, was den Leser in Bad Lauchstädt erwartet – finden Sie nicht?

Natürlich, und vor allem kribbelt und funkt es auch beim Leser von der ersten Zeile an, apropos: Haben Sie das eigentlich auch gespürt, als Sie da waren? Immerhin saßen Sie direkt neben dem Herrn Deutschbein in seinem Garten.


Da war zuerst dieses komische Gefühl: Moment, hier stimmt irgendetwas nicht. Dann habe ich realisiert, dass es genau das ist, wovon Herr Deutschbein die ganze Zeit spricht. Es kribbelte und krabbelte überall.

Und nicht nur Herr Deutschbein, alle in diesem Städtchen finden das offenbar ganz normal?


Ja. Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, um irgendjemanden zu finden, den das vielleicht beunruhigt. Aber es gab einfach niemanden.

Und dann steht da dieser eine Satz: „Wir sind gelernte DDR-Bürger. “ Ein richtiger Paukenschlag in Ihrem Text! Perfekte Mitte, würden Storyteller sagen...Peng!


Den habe ich natürlich bewusst aufgeschrieben. Denn einerseits kann er vielleicht etwas erklären, andererseits weist er auf einen Widerspruch hin: Die Lauchstädter nehmen ja keinesfalls alles hin, sie regen sich über genügend Dinge auf. Nur über andere, als wir erwarten. In diesem Satz steckt eine starke Spannung.

Die sich sofort auf den Leser überträgt. Ihr Text beginnt ja schon wie ein Roman, mit vielen Fenstern in das Thema hinein, Ahnungen, Andeutungen, Kontrasten,... der Leser geht mit, buchstäblich elektrisiert, will alles wissen – aber dann: Dann steht er auf einmal ganz allein in diesem Bad Lauchstädt herum!


Wie meinen Sie das?

Nun ja, nach diesem Paukenschlag erfährt alles Mögliche über die allgemeine Lage in Deutschland, die Sorge der Netzbetreiber, die Wutbürger und so weiter. So ein bisschen Pflichtstoff eben, den er eigentlich schon in den Kästen gelesen hat. Und plötzlich hat er das Gefühl, dass der Autor hier und da zwar ein bisschen stichelt, aber die Haltung der Lauchstädter im Grunde mehr oder weniger widerspruchslos hinnimmt. Die sind halt so, die Lauchstädter...

 

Ich kann nach ein paar Stunden Recherche in der Stadt die Menschen und ihre Beweggründe nicht vollends erklären. Das möchte ich auch gar nicht. Ich verstehe ein wenig die Lauchstädter, ein wenig die Wutbürger, sehe gleichzeitig beide kritisch. Ich möchte gar nicht so auftreten, als wüsste ich, warum die Lauchstädter so sind, wie sie sind. Das ist doch der Ritt auf der Rasierklinge, den wir als Journalisten immer wieder bewältigen müssen – zeigen, was ist, ohne gleich als allwissender Autor aufzutreten.

Geht es denn um den allwissenden Erzähler? Nicht eher darum, diesem Erstaunen nachzugehen, das man als Autor selber geweckt hat, dem nachzuspüren?


Was konkret hätte das für meinen Text bedeutet?

Vielleicht, dass er die Ahnungen und Andeutungen weiterspinnt, dass er in Mosaik entwirft:Wie sieht es da aus? Wer lebt da alles? Dass er noch mehr hineingeht in das Dorf, zu seinen Menschen, zu ihren Geschichten. Es geht doch nicht um die absolute Wahrheit, sondern eher um eine Suche, an der der Leser Teil haben kann.


Ich hätte über Bad Lauchstädt auch ein Dossier schreiben können, klar. Aber ich wollte eben auch zeigen, dass es in anderen Regionen in Deutschland genügend Menschen gibt, die beim Bau der Stromautobahnen schon jetzt auf die Barrikaden gehen, die Wutbürger eben. Ich verstehe aber, was Sie meinen. Nur versucht man immer alle wichtigen Dinge in einem Text unterzubringen. Sicher hätte man auch an der einen oder anderen Stelle stärker fokussieren können.

Haben Sie eigentlich Reaktionen von Lesern bekommen?


Nein, keine einzige. Weder gute noch schlechte. Gar keine. Null. Nichts.

Woran könnte das denn liegen?


Möglicherweise denken viele Menschen wie Herr Deutschbein: Dass eigentlich alles gut ist, dass andere Dinge wie Fluglärm oder Quadersteine wichtiger sind. Ich kann es nicht einschätzen.

Wahrscheinlich ist das Thema Energiewende für die meisten Menschen einfach noch zu abstrakt. Wer kann sich schon unter Stromautobahnen etwas vorstellen?


Das ist sicher richtig. Aber wenn das mal anders wird, wenn die Menschen merken, wie die Energiewende ihren Alltag bestimmt und bestimmen wird, dann wird es unsere Aufgabe sein, ihnen all die technischen Details, die Fakten zu vermitteln.

Haben Sie sich deshalb auf dieses Thema spezialisiert?


Ja, die Energiewende ist zurzeit eines der spannendsten Themen in der deutschen Politik. Sie wird darüber entscheiden, wie es in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland aussieht, wirtschaftlich, ökologisch.

Das heißt, wir können uns auf weitere Geschichte über die Deutschbeins dieser Welt freuen? Zumindest in der Leipziger Volkszeitung?


Unbedingt.

Interview: Elisabeth Schmidt-Landenberger

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Elisabeth Schmidt-Landenberger hat bei der Badischen Zeitung in Freiburg volontiert, sie war Ressortchefin Reportage bei der Schweizer Frauenzeitschrift Annabelle und Textchefin der deutschsprachigen Vanity Fair. Sie arbeitet als Textchefin für Interview, als Textcoach für Verlage und Institutionen, und sie unterrichtet an Journalistenschulen, Akademien und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

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